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WEIßES GOLD

Salz on the Rocks


Westfalen, der Landstrich zwischen Rhein und Weser, ist bekannt für seine fruchtbaren Böden, eine starke Industriekultur - und seine Geschichte der Salzgewinnung. Denn hier liegt auch eine Stadt, die dank des "Weißen Goldes" zu Ansehen und Reichtum gelangte:


Werl.


Doch wie kam es dazu? Die Antwort führt uns zurück in eine Zeit vor 250 Millionen Jahren. Das Salz, das in Werl produziert wurde, stammt aus dem Meer.

Damals bedeckte ein riesiger Golf das heutige Westfalen, der heute als „Münsterländer Bucht“ bekannt ist, und an dessen Ufern große Salzvorkommen entstanden.




Abb.1: Die Verteilung von Land (grau) und Wasser (weiß) zur Zeit des Zechstein


Als der Meeresspiegel im Lauf der Zeiten wieder sank, trocknete der Ozean ein und hinterließ bis zu 400 Meter mächtige Steinsalzschichten in Norddeutschland, der Soester Börde und im Münsterland, auf denen sich im Laufe der Zeit eine äußerst fruchtbare Schwemmbodendecke legte.

So wurden die Voraussetzungen für die späteren Solevorkommen und den Salzhandel geschaffen.


















Aber wie gelangte das Salz von dort aus schließlich in die Hände der Menschen?


Laut des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz befand sich bei Werl die erste jungsteinzeitliche Saline Mitteleuropas, denn bereits 700 Jahre v.Chr. wurde im Raum Werl Salz gewonnen. Im Gegensatz zum Alpenraum, wo Salzvorkommen bergmännisch erschlossen wurden,

oder an den südeuropäischen Küsten, wo Meersalz in riesigen Salzgärten geerntet wurde, gewann man den begehrten Rohstoff nördlich der Alpen aus seltenen, stark salzhaltigen Quellen - den Solevorkommen. Eine dieser Quellen, deren Salz von großer Reinheit war, befand sich an einer geologischen Bruchspalte im Raum Werl.

Hier wurde durch Sieden seit der Mitte des 9. Jahrhunderts Salz gewonnen. Denn die Einwohner von Rithem, einer Wüstung etwa 2 km östlich von Werl,

mussten bereits damals einen Salzzins an das Kloster Werden (heute: Essen-Werden) entrichten.





Abb.1A: Das Dorf Werl im 10. Jahrhundert


Die Bedeutung der Salzgewinnung für die Region wird auch durch archäologische Funde belegt. Ausgrabungen in der Werler Altstadt verdeutlichen,

dass in Werl bereits im 7. Jahrhundert v. Chr. über den lokalen Bedarf hinaus in größerem Maßstab Salz produziert wurde. So finden sich am Ufer des Salzbaches gut 2 Meter tiefe Schichten von Briquetageabfällen, die anhand zahlreicher Keramikfragmente ausschließlich in die späte Hallstattzeit (600-450 v. Chr.) datiert werden.


Abb.1B: Siedegefäße (Briquetage) aus der Blütezeit der vorgeschichtlichen Salzgewinnung


Was hier zu Tage kam, waren Reste tausender becherförmiger Ton-Tiegel mit zylindrisch zulaufenden Säulen von gut 20 cm Länge. Sie dienten der Salzgewinnung. Die Tiegel wurden durch Verdunstung von Solewasser abgedichtet und es bildete sich eine Kruste, die den Ton abdeckte.

Anschließend wurde immer wieder in kleinen Mengen Sole nachgefüllt und das Wasser verdunstete, bis die Tiegel mit kegelförmigen Salzkuchen gefüllt waren, die durch ihre hohe Stückzahl wohl direkt in den Handel übergingen.


Bemerkenswert sind auch die Entdeckungen von Holzmodellen, die zur Massenproduktion der Tiegel in standardisierten Größen und Formen

verwendet werden konnten. Alle diese Funde belegen, dass die Salzherstellung mit Abstand der älteste Industriezweig in Westfalen ist und somit auf eine lange Kulturgeschichte in der Region verweisen kann.


Das ältere Sälzer-Archiv in Werl, das über die Frühzeit der Salzgewinnung hätte ausführlicher Auskunft geben können, wurde leider bei der Eroberung Werls durch Graf Engelbert von der Mark im Jahr 1382 bei einem Stadtbrand vernichtet.


Die Siedesalzproduktion und der Handel mit dem "Weißen Gold" brachten der Stadt Ansehen und Reichtum und prägen das Stadtbild Werls bis in die heutige Zeit. Viele Städte kamen durch den Salzhandel zu Reichtum. Auch Rom entstand zum Beispiel genau an der Stelle, wo sich der Salzhandelsweg mit dem Lauf des Tibers kreuzte. Beamte und Soldaten bekamen ihren Lohn teilweise in Form von Salz ausgezahlt.


Daher kommt auch der heutige Begriff Sold. Genau wie in Salami oder auch Salat.


Im Mittelalter wurde die Produktion von Siedesalz zu einem tragenden Wirtschaftsfaktor.

Doch die Herstellung von Pfannensalz war ein nahezu alchemischer, komplexer Vorgang, dessen Gelingen stark von der Erfahrung, dem Können und dem Engagement einer hochqualifizierten Fachkraft, dem Siedemeister, abhing.


Abb 3/4: Links: Die beiden Illustrationen aus Agricolas Bergwerksbuch zeigen verschiedene Abläufe beim Salzsieden. Die Brunnenknechte fördern die Sole hinauf, die Träger transportieren sie in Zubern zu den Siedehäusern, die durch Tierdarstellungen gekennzeichnet sind. Rechts: Zum Sieden kommt die Sole in die Siedepfanne. Ein Sieder schaufelt auskristallisiertes Salz in Weidekörbe, welche dazu dienen die Restfeuchtigkeit zu verflüchtigen.


Bei diesem Prozess spielte die Sole, also die Grundlösung für die Salzgewinnung, die entscheidende Rolle. Doch um die Sole zu gewinnen, musste zuerst Wasser durch Bohrlöcher in die salzhaltigen Gesteinsschichten gepumpt werden, um das Salz aus dem Gestein zu spülen.

Erst so entstand die Sole, die wiederum abgepumpt wurde und durch Eindampfen oder Sieden in großen Siedepfannen dann letztlich das Siedesalz gewonnen wurde. Daher stammt auch der Name „Kochsalz“.


Das technologische Schema zeigt die wesentlichen Verfahrensschritte, die im Prinzip auch heute noch für die Herstellung von Pfannensalz gelten.


Abb.4A: Allgemeines Verfahrensschema der Pfannensalztechnologie


Im Mittelalter war die Herstellung von Pfannensalz eine hohe Kunst, bei der die Siededauer und die Art der Erhitzung die Korngröße des Salzes, das von sehr fein bis sehr grob reichen konnte, präzise beeinflussen konnte.


Die Sälzer in den Werler Siedesalinen waren aufgrund ihrer soliden Kenntnis der spezifischen Steuerungsprozesse in der Lage ein höherwertigeres Salz herzustellen, als das, was in den Meersalzgärten an den südlichen Küsten Europas produziert wurde.


Das Salzsieden war somit nicht nur ein wichtiger Wirtschaftszweig, sondern in erster Linie ein anspruchsvolles Handwerk, das ausschließlich von hochqualifizierten Fachkräften beherrscht wurde. Ein beeindruckendes Erbe, dessen Hauptmerkmal bis heute Bestand hat.

Denn schließlich hat Salz auch heute noch eine große Bedeutung in unserer Küche und Gesellschaft. 



Jahrhunderte später, um 1500, gab es in Deutschland etwa 50 Salinen.


Doch wie wurde das wertvolle Mineral nun in dieser Zeit gewonnen?

Im Unterschied zum Mittelalter spielten hier bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sogenannte Gradierwerke eine entscheidende Rolle. Die Erfindung des Gradierwerks mit Schwarzdornauskleidung im 18. Jahrhundert wird dem Salinisten Joachim Friedrich Freiherr von Beust zugeschrieben.


Abb.2: Salinen in Westfalen


Gradierwerke waren riesige Holzgerüste, die mit Schwarzdornreisig ausgekleidet wurden, um das Gradieren, also die Konzentration der Sole, durchzuführen. Durch das Herunterrieseln von salzhaltigem Wasser am Reisig trugen Wind und Sonne zur Verdunstung des Wassers bei, was zur Erhöhung der Salzkonzentration führte und die effiziente Einsparung von Energie und Brennstoff bewirkte. Überflüssige Salze und andere Verunreinigungen, die die Salzqualität minderten, lagerten sich am Schwarzdorn ab und bildeten den "Dornstein". Frühere Versuche mit Stroh hatten nicht zum gewünschten Erfolg geführt, weil die Sole zu schnell am Stroh hinunterlief und das Wasser kaum Zeit hatte, zu verdunsten.














Ein cleveres System, das jedoch einen Haken hatte:

Um die Qualität des Salzes aufrechtzuerhalten, mussten die Reisigbündel unter riesigem Aufwand etwa alle zehn Jahre erneuert werden.

Und nicht nur das - hinzu kam, dass das Gradieren auch vom Wetter abhängig war, weshalb eine penible Bauplanung des Gradierwerks unter Berücksichtigung von optimalen Windverhältnissen und Sonnenlichteinfall von entscheidender Bedeutung war.


Abb.5: Das Gradierwerk im Werler Kurpark, 1999 durch eine Bürger-Initiative errichtet


Die Geschichte des Salzhandels ist voller interessanter Wendungen und Verwicklungen. Mit dem Anstieg der Bevölkerung im Mittelalter wuchs auch der Bedarf an Salz. Denn Lebensmittel mussten jetzt länger haltbar sein, um die steigende Nachfrage zu decken.


Die westfälischen Salzstädte waren die Vorreiter in der Massenproduktion des begehrten Guts und trieben die salzbasierte Konservierung von Lebensmitteln („Pökeln“) und damit auch den Salzhandel federführend voran. Werler Salz wurde schließlich in alle Himmelsrichtungen, nach Norddeutschland, in die linksrheinischen Gebiete und insbesondere nach Köln exportiert und sicherte den Wohlstand der Region: 


Die drei Handelslinien führten entlang der Lippe nach Westen, entlang des Hellwegs nach Osten und eine dritte über Münster nach Norden.

Abb.6: Die Fernwege Mitteldeutschlands im Mittelalter mit Hervorhebung des Hellwegs und seinen Verbindungswegen nach Osten und Westen.


Doch die Salzgewinnung hatte auch ihre Schattenseiten: Denn die Produktion war ökologisch nicht nachhaltig.

Und so war eine der Konsequenzen der steigenden Nachfrage, dass gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Salz-Produktion aufgrund des Raubbaus an der Schlüsselressource Holz, das zum Heizen der Siedepfannen gebraucht wurde, wegen der nicht mitbedachten Aufforstung der Waldbestände deutlich reduziert werden musste.  Die Salzsieder mussten nach neuen Wegen suchen, um ihre Produktionsmethoden umweltfreundlicher zu gestalten und für das kostbare Salz effizienter zu nutzen.

Ein wichtiger Aspekt in der Geschichte des produzierenden Gewerbes, der verdeutlicht, wie die Produktion von Waren für den schnellen wirtschaftlichen Profit nicht selten mit einem hohen Preis verbunden ist, denn was die Situation im damaligen Werl betrifft, sind die Folgen auch heute noch spürbar:

im Großraum Werl existieren keine zusammenhängenden Waldgebiete mehr.

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SOLIDARITÄT UND SOLE


Der Ursprung der Werler Erbsälzer


Im beschaulichen Werl hat die belegbare Geschichte des Salzhandels bereits vor über 800 Jahren ihren Anfang genommen.


Erstmals urkundlich erwähnt wurde die Stadt im Jahr 1024, doch erst ab 1197 ist die Existenz der Salinen und der Salzproduktion in der Region offiziell dokumentiert. Im Nordwesten von Werl wurden schon früh mehrere Solequellen entdeckt und Brunnen an diesen Stellen errichtet. Zwei dieser Brunnen blieben bis ins 20. Jahrhundert erhalten: Der alte Werler Brunnen oder Michaels-Schacht, auch bekannt als Stadtbrunnen, und der alte Neuwerk-Brunnen oder Maximilians-Schacht, der oft als Grabenbrunnen bezeichnet wurde. Es wird vermutet, dass letzterer der ältere Brunnen ist.


Im Jahr 1288 wurde dieser Brunnen allerdings aufgegeben und zugeschüttet, da der Salzgehalt der Sole abgenommen hatte. Im Jahr 1627, nachdem sich die neuen Solebrunnen in der Arlache und am Mailoh als unzureichend erwiesen hatten, wurde der alte Brunnen 1625 und 1626 für die Kurfürstliche Saline "das neue Werk" (später das Neuwerk) wieder angelegt. Der alte Neuwerk-Brunnen wurde wieder ausgehoben und seine Sole wurde dorthin geleitet. Als das Erbsälzer-Collegium im Jahr 1652 das Recht zur Salzgewinnung in und um ganz Werl herum erhielt, wurde der Brunnen, der nun als Neuer Brunnen bezeichnet wurde, für den Betrieb des neuen Werks genutzt. Die genaue Lage der Brunnen kann auf der Karte in Kapitel 13 eingesehen werden.


Doch wer waren die Akteure, die hinter der Salzproduktion standen?

Die Inhaber der Siederechte wurden als Pfänner oder Sälzer, in Werl als Erbsälzer, bezeichnet und waren verantwortlich für den Betrieb der Saline und den Handel mit Salz. Aber Vorsicht: Diese Bezeichnungen dürfen nicht mit den eigentlichen Arbeitern in der Saline, den Salzknechten, verwechselt werden,

die den Siedeprozess händisch durchführen mussten.



Am 7. September 1961 wurde im WDR-Schulfunk das Hörspiel "Die Erbsälzer" gesendet:


Der Zunftmeister der Salzsieder aus Werl, Johann Lylie, verlangt vom Rat der Stadt, dass seine Zunft von gewissen städtischen Abgaben und Steuern befreit werde. Der Rat lehnt dieses Ansinnen ab und bringt den Streit vor den Erzbischof von Köln, Friedrich von Saarwerden, der persönlich nach Werl kommt, um den Streit zu schlichten. Die Salzsieder müssen auf ihre Ansprüche verzichten und sich darüber hinaus verpflichten, künftig an den Erzbischof den Zehnten abzuführen. Wenige Monate nach diesen Verhandlungen wird die Stadt Werl durch die Truppen des Grafen Eberhard von der Mark völlig zerstört, wobei fast alle Urkunden der Erbsälzer vernichtet werden. Die Stadt erholt sich allerdings schnell wieder dank ihrer Salzquellen, die den Wohlstand der Bürger begründet haben. ln den trockenen Sommermonaten des Jahres 1395 versiegen jedoch diese Quellen.


Als am Michaelstag des Jahres 1395 in einer Andacht die alten Gewohnheitsrechte der Salzsieder in Statuten niedergelegt werden,

beginnen auch die Salzquellen wieder zu fließen.



Dieses Hörspiel behandelt die wichtigsten historischen Ereignisse, allerdings ohne ihren geschichtlichen Kontext zu nennen:


Wenn man an das Mittelalter denkt, kommen einem meist Ritter, Burgen, Bräute und Bräuche in den Sinn. Doch jenseits aller Klischees gab es auch sehr viel Rechtliches zu regeln. Als im Januar 1356 auf dem Nürnberger Reichstag die Goldene Bulle, die die Wahl des römisch-deutschen Königs regelte, verkündet wurde, war das ein Ereignis von historischer Tragweite. Die Goldene Bulle war das erste Dokument in Deutschland, das den Charakter einer Verfassung aufwies. 


Für unsere Erzählung ist allerdings ein anderer Aspekt von weit größerer Bedeutung:

Sie regelte auch das königliche Recht auf Bodenschätze, geregelt im Bergwerksregal,  einschließlich des Salzregals. Und so fiel im Mittelalter auch die Salzgewinnung unter die königlichen Regalien (= „Rechte“) und die Erbsälzer, die erst im Auftrag des Königs und später der Fürsten Salz produzierten, beanspruchten allen Ernstes etwas sehr aussergewöhnliches: hiervon ausgenommen zu werden.


Denn sie waren der Ansicht, dass sie bereits schon zu weit früheren, quasi vorköniglichen, Zeiten ein Anrecht auf die Salzproduktion gehabt hätten und leiteten daraus ihre erbliche Unabhängigkeit von königlicher oder fürstlicher Genehmigung ihres Gewerbes ab. 


Und deshalb nannten sie sich


Erbsälzer.


Sie traten vielleicht als eine äußerst selbstbewusste Art einer neuen sozialen Bewegung auf und definierten sie sich als unabhängige Zunf, die deshalb eine besondere Stellung innerhalb des produzierenden Gewerbes einforderte und damit auf gerader Linie auch im Werler Bürgertum.

Im Laufe der Zeit beanspruchten sie dann auch den Adelsstand.


Der Anspruch auf eine besondere soziale Stellung verband allerdings alle, die sich im Mittelalter als Bergmänner der Ausbeutung von Bodenschätzen widmeten und darunter fiel auch die Allianz der Erbsälzer. Der heute nicht mehr verwendete Begriff der Knappschaft erinnert daran.


Die Salzgewinnung war im Mittelalter also nicht nur eine Frage des königlichen Rechts, sondern auch der sozialen Stellung vor Ort. Die Erbsälzer kämpften nicht nur für ihr Gewerbe, sondern auch für ihren Rang in der Gesellschaft. Sie sind somit nicht nur ein wichtiger Teil der Salzgeschichte, sondern auch ein Beispiel für das im Mittelalter aufkommende Verlangen nach sozialer Aufwertung.



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EINE KLASSE FÜR SICH

Vom Bürger zum Patrizier


Die Solevorkommen haben die Siedlungsgeschichte von Werl maßgeblich beeinflusst.

Um 1218, zur Zeit des Nibelungenliedes, entwickelte sich Werl zur Stadt.


Noch im 12. Jahrhundert teilten sich die Grafen von Arnsberg und der Kölner Erzbischof den Besitz an der Stadt. Doch bereits im 13. Jahrhundert gewann der Erzbischof die Oberhand und förderte die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt auch durch den Einsatz des Fachwissens der Erbsälzer. Im Jahr 1244 erhielt Werl womöglich auch deshalb den Status eines Oppidum, also einer kleinen stadtähnlichen Siedlung, und bekam 1250 das Stadtsiegel verliehen.


Abb.7A: Das „Petrussiegel“ ist erstmals 1280 urkundlich belegt. Es zeigt einen thronenden Petrus,

der in der rechten Hand zwei Schlüssel und in der linken Hand ein Kreuz hält.

Die Umschrift lautet:

SIGILLUM CIVITATIS WERLENSIS.


Dadurch wurde Werl zur kurkölnischen Stadt und diente als Bollwerk gegen die aufstrebenden Grafen von der Mark. Mit der Verleihung der Stadtrechte durch den Erzbischof Engelbert I. von Köln um 1218 wurde der Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft gelegt.


Abb.8: Am 26. Februar 1272 wurde die Stadt Werl vom Kölner Erzbischof Engelbert II. mit dem liberalerem Rüthener Stadtrecht bewidmet.

(bereits um das Jahr 1218 erhielt das Dorf Werl vom Erzbischof Engelbert I. von Köln die Stadtrechte)

Denn seit dem 12. Jahrhundert hatte die Nachfrage nach Salz und damit die Salzproduktion in ganz Deutschland stark zugenommen und somit auch der Salzpreis. Die Gewinnung von Salz war mittlerweile die wichtigste Einkommensquelle der Stadt Werl und der entscheidende Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region. Aus diesem Grund erließ am 12. Juli 1246 der Kölner Erzbischof eine Privilegienurkunde, die die Versuche der Grafen von Arnsberg, der Nachfolger der Grafen von Werl, die Stadt unter ihren Einfluss zu bringen, endgültig abwehrte.


In dieser Urkunde kamen auch erstmals die sozialen Verhältnisse in Werl offiziell zum Vorschein.


Denn die Urkunde war nicht nur eine Anerkennung der Werler Bürger für ihre Unterstützung des Kurfürsten gegenüber seinen gräflichen Gegnern,

sondern war vor allem eine Strategie zur langfristigen Sicherung seiner Macht durch den zuverlässigen Betrieb der wertvollen Salinen. 



Abb.9: Bestätigung des Salzsiedeprivilegs für die Erbsälzer durch Erzbischof Konrad von Köln vom 12. Juli 1246:

"Friedrich Erzbischof von Köln bekennt, dass Henneke Buck, Johan Lylie, Goisswyn die Mais, Everart Goiskyns, Everhart von Steynen, Johans Richtere gen. Noitlike, Rutger Nollen, Henneke Borch, Henrich Kryspe, Gerke Scholers, Henneke Goiskens, Lambrecht Wyrre, Johan Blesse, Wilke Papen, Diegudehannes Godecke Vredebracht, Johan Gradige, Jacob Passe, Alart, Coyneke Noytele, Symon Rodenberges, Dyderich Selle, Goisswyn Wyrre, Helmich Rodeken, Johan Smachterberg, Johan Beneditten, Johan sein Sohn, Godschalck Soleyole, Arnolt Kreuwel, Johan Hussele, Helmich Wynterkreye, Conrait sein Sohn, Herman von Steynen, Helmich Leusse, Goisswyn Pruysse, Henrich Stuyrken, Herman Daverenberg, Coynreit Wacker, Tilman sein Sohn, Rabode Bruyns, Tilken Noitliken, Coynreit sein Sohn, Johan Konke, Harmoit Prosekese, Bertolt Pape, Rutger Gradige, Gerart sein Bruder, Johan Kryspe und die übrigen gemeinen Sälzer zu Werle und deren Eltern und Vorfahren sich des dem Erzstift gehörigen Salzpütts in und vor Werle angenommen und sich Gesetze gegeben hätten zum Nachteil des Erzstifts und der gemeinen Bürger zu Werle, ohne sich dabei eines Unrechts bewusst zu sein, dass er aber in Ansetzung der sonstigen Verdienste der Erbsälzer und ihrer Kenntnis des Salzwerkes und in Erwartung künftiger treuer Dienste ihnen das Salzwerk weiter zu handhaben verliehen habe, es erblich als Erbsälzer zu besitzen, wogegen sie ihn von allen Soden und Hüben den Zehnten zahlen sollen."


Der Zusammenschluss der Sälzer zu den Erbsälzern markierte in Werl die Entstehung einer sozialen Gruppe, die sich fortan durch besondere Rechte von der übrigen Bürgerschaft abgrenzte und die Salzproduktion als erbliches Industriemonopol kontrollierte. Denn mehr als 40 Sälzerfamilien standen mittlerweile an der Spitze der städtischen Einkommensschichten und vereinigten sich mit diesem Dokument zu einer mächtigen Korporation, der 


Genossenschaft


der Erbsälzer. 


Den Sälzern wurde durch diesen urkundlichen Beschluss vom Erzbischof für alle Zeiten das Erbrecht zugesprochen, in Werl Salz zu sieden und war für den weiteren Werdegang der Sälzer-Zunft von immenser Bedeutung. Und mit dieser Privilegienurkunde beginnt die dokumentierte

Geschichte der Erbsälzer in Werl.



Im 14. Jahrhundert wurde Werl konsequenter Weise dann auch zur Amts- und Gerichtsstadt ernannt.


Doch die Erbsälzer waren nicht nur ein wichtiger Teil der Politik- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt. Ihr Werdegang fungiert genauso als Symbol für den generellen Aufstieg der Handwerker im Mittelalter als auch für den Wunsch nach Unabhängigkeit und sozialer Aufwertung. Ihr Anspruch auf eine Sonderstellung war in Werl aber höchst umstritten. Die politischen Folgen dieses Zwists zwischen den Erbsälzern und den übrigen Bürgern und Zünften bestimmte die Geschichte der Stadt über mehrere Jahrhunderte. Durch ihr Erbrecht auf die Salzproduktion sicherten sie sich eine einzigartige Stellung in der Werler Stadtgesellschaft und waren ein wichtiger Bestandteil der mittelalterlichen Kultur im Herzogtum Westfalen.


Und während die Erbsälzer ihre Macht und Wirtschaftskraft in Werl sicherten, begann in Köln auch der Bau des Doms.



Die Erbsälzer bildeten eine geschlossene, genossenschaftlich organisierte Gemeinschaft, die als die älteste heute noch bestehende Industriegenossenschaft Deutschlands angesehen werden kann.


Doch wie entstand diese mächtige Gemeinschaft und wie konnte sie sich im Laufe der Jahrhunderte zu einer der einflussreichsten Vereinigungen in Werl entwickeln?


Die Ursprünge der Erbsälzer waren sicherlich bäuerlich, genau genommen entsprangen sie dem Salzbauerntum. Man kann also annehmen, dass sie als abgegrenzte Gruppe schon lange vor 1246 existierten und nicht allein durch das strategische Wohlwollen der Kölner Erzbischöfe so schnell in ihre Position aufgestiegen sind. Denn die Urkunde von 1246 bestätigte lediglich das bei einem Stadtbrand verschollene Privileg Engelberts I. und verlieh den Erbsälzern das erbliche Recht, in Werl Salz zu sieden und somit ihre Machtposition zu stärken.


Im Laufe der Jahrhunderte fand für die Erbsälzer aufgrund ihrer Rechtsstellung und ihrer Privilegien ein fundamentaler sozialer Wandel statt und so entwickelten sie sich allmählich zu den Ratsfamilien und Patriziern der Salzstadt Werl. Denn sie hatten nicht nur das erbliche Monopol auf die Salzproduktion inne, sondern sie organisierten den gesamten Salzhandel, inklusive der Produktion und des Verkaufs. Sie besaßen also das alleinige Recht nicht nur das Salz zu gewinnen, sondern auch die gesamte Wertschöpfungskette.


Diese Tatsache mag es einem erleichtern, ihren fulminanten Aufstieg nachzuvollziehen, denn die Salzproduktion war immerhin die wichtigste Einkommensquelle der Stadt Werl und die Erbsälzer kontrollierten das gesamte Geschäft.


Die Geschichte der Erbsälzer ist eine Erfolgsgeschichte, die auf großartige Weise darlegt, wie eine kleine Anzahl von mittelalterlichen Individuen durch die Synergien von Glaube, Zusammenhalt und Disziplin eine einflussreiche, gesellschaftliche Stellung erlangen, erleben und erhalten konnte.


Denn das Ganze ist eben immer mehr, als die Summe seiner Teile.



Die Erbsälzer von Werl waren aber nicht nur ein einflussreicher, sondern auch ein sehr cleverer Stand. Sie wussten genau, wie sie ihre mühsam erlangte Position halten und weiter ausbauen konnten. So heirateten sie in Adelsfamilien ein, um sich dem Adel anzunähern und dadurch ihren Einfluß und damit auch ihre „Macht“ zu stärken.


Und sie gingen äußerst planvoll vom reinen Salzproduzenten zur sozialen Oberschicht über. Sie erarbeiteten sich eine eigene Satzung und erwarben Grundbesitz, um ihre Position weiter zu festigen und auszubauen. Im Jahr 1432 bestätigte König Sigismund erneut die Herkunft der Erbsälzer "von altem guten Stamme" und schon 1485 wurde ein Papen als Knappe bezeichnet, was bereits auf ihren Weg zur späteren Nobilitierung hinwies.


Im Vergleich zu anderen privilegierten Gruppen, wie den Pfännern in Halle (Saale), die ihre herausragende Stellung im Lauf der Zeit verloren, gelang es den Erbsälzern in Werl, ihre Position zu halten. Die Soziologie fasst dieses Phänomen unter dem Begriff der Intergenerationenmobilität zusammen. 






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SÄLZER UND SATZUNG


Absolute Distinktion


Die quasi-fundamentalistischen Statuten der Erbsälzer mögen heute befremdlich wirken, aber sie waren Ausdruck eines stolzen Selbstverständnisses und der Entschlossenheit, die Macht und das Ansehen ihrer Zunft zu steigern.


Aber was trieb die Sälzerschaft eigentlich genau dazu, sich in ihrer Zunftordnung solche hardcore Standards aufzuerlegen?

Die Antwort liegt wahrscheinlich in der historischen Bedeutung der Salzproduktion als Wohlstandsgarant und politischem Einflussfaktor in Werl. In der heutigen Zeit, in der die strategische Anwendung von Corporate Identity* (CI) oder Compliance Management Systemen (CMS) in der Geschäftswelt ein entscheidender Erfolgsfaktor ist, ist es interessant zu sehen, wie die Erbsälzer bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts mit einer eigenen Satzung ein ähnliches System geschaffen haben, um ihre Gemeinschaft zu organisieren und so ihre Position zu sichern, ganz im Geist ihrer Zeit, einer Zeit des Wandels im Handel, als im bigger picture auch die Hanse gegründet wurde.


*Eine Corporate Identity ist durch ein von innen nach außen wirkendes Selbstbild geprägt, das die Persönlichkeit und Werte eines Unternehmens charakterisiert. Es stützt sich auf ein Handlungskonzept für ein sichtbar gelebtes Wertesystem und den Aufbau einer ausgeprägten Unternehmenskultur. 


Abb.10B: Die Ausbreitung der Hanse um das Jahr 1400




Durch die erzbischöfliche Urkunde von 1246 erhielten die Sälzer ein Erbmonopol auf die Salzproduktion in Werl und konnten somit ihre Salzsiede- und Besitzrechte an ihren männlichen Nachwuchs weitervererben, sofern dieser den Statuten entsprach. Auch durch die enge Bindung an das Erzbistum Köln hatten sie eine außergewöhnliche Machtposition in Werl inne, die sie mit allen Mitteln zu verteidigen wussten.


So legten die strikten Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft im Erbsälzer-Collegium fest, dass nur Personen mit einem ähnlichen Sälzerfamilien-Hintergrund Zugang zu ihrer Gemeinschaft hatten. Aufgrund der begrenzten Anzahl von Mitgliedern waren nämlich ausreichende Einkünfte für alle gewährleistet, denn der Aufstieg in das städtische Patriziat spielte im Hintergrund immer die strategische Hauptrolle.


Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass der penible Abstammungs- und vor allem der Verhaltenskodex bereits auf ein sich kategorisch entwickelndes Ethos

eines ständisch-elitären Abgrenzungsdenkens gegenüber dem übrigen Werler Bürgertum hindeutete. Die Sälzer erkannten nämlich frühzeitig, dass sie nur durch eine enge und solidarische Zusammenarbeit ihre Position halten und ausbauen konnten. Ihre Statuten waren deshalb auch ein wichtiges Instrument, um das Gemeinschaftsgefühl zu besiegeln und somit den Zusammenhalt zu fordern und zu fördern.


Abb.10A: Aus den Statuten von 1395 des Erbsälzer-Collegiums


Die Voraussetzungen waren beispielsweise eine Residenzpflicht in der Stadt Werl und die Konfessionszugehörigkeit zum katholischen Glauben. Auch waren nur ehelich und frei geborene Söhne von Erbsälzern berechtigt, Mitglieder der Gemeinschaft zu werden. Eine Heirat mit einer "Hörigen" oder einer Frau mit außerehelichen sexuellen Kontakten führte zum sofortigen Ausschluss des Erbsälzers und seiner Söhne aus dem Salzwesen. Und natürlich hatte auch ein Ehebruch den sofortigen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Erbsälzer zur Folge.


Die Statuten der Erbsälzer waren sogar über lange Zeit strenger als die kirchlichen Gebote, weshalb der Erzbischof die Sälzerschaft wiederholt zur Mäßigung ihres Gehorsams und zur Milderung ihrer Statuten ermahnte.


Aber wie wurde entschieden, wer wann und wo sieden durfte - und wer nicht?

Es klingt nach einer einfachen und klaren Struktur: Jeder Erbsälzer hatte das Recht, Salz zu sieden und besaß damit sein individuelles Besitzrecht an einem Gesamteigentum. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail: Das Siederecht, auch "Salzwerk" genannt, erlaubte zwar jedem Sälzer, in gleicher Weise wie jeder andere Sälzer zu sieden - doch nur vorausgesetzt, dass er die hierzu erforderliche Sole auch zugeteilt bekommen hatte. Denn jedes Siedehaus gehörte einzelnen Personen, und um sein Salzwerk in ein anderes Siedehaus zu verlegen, brauchte ein Sälzer daher die Zustimmung der anderen Sälzer.


Und hier kommt das "Erbsälzer-Collegium" ins Spiel.

Dieser Zusammenschluss der Sälzer, zuvor auch bekannt als das "Salzamt" oder einfach das "Amt", legte jedes Betriebsjahr die den einzelnen Erbsälzern zustehende Wassermenge fest und kontrollierte wöchentlich die fortschreitende Wasserentnahme. Das Collegium gewährte jedem Erbsälzer nur "Teil und Gemeinschaft" an dem ungeteilten Ganzen. Die Ausübung dieses Rechts war also nur nach Aufnahme in die Erbsälzer-Genossenschaft und unter deren ständiger Aufsicht gestattet. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit für eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit und das damit einhergehende Verbundenheitsgefühl der Erbsälzergemeinschaft.


Doch wer kontrollierte die Salzamt, bzw. das Collegium?


Den Vorstand des Salzamtes bildeten die "Sechzehn", ein Gremium von 16 Sälzern, die in der Collegialversammlung zum Michaelistag für jeweils ein Jahr gewählt wurden. Sie wählten wiederum den „Salzplatzrichter", der die Rechtsprechung in Salzamtssachen auf dem Salzplatz ausübte. An der Spitze des Gremiums stand früher ein "Lochtemann", der später Sälzer-Oberst genannt wurde.


Die Erbsälzer von Werl waren nicht nur durch ihre Herkunft, sondern auch durch ihre Arbeitsmethode und ihre progressive Organisation eine einzigartige Gemeinschaft. Das Erbsälzer Collegium, also das „Salzamt", und die "Sechzehn" waren auf ihre Art auch ein Stück weit Vorläufer moderner Unternehmensstrukturen und verdeutlichen, wie wichtig eine solide und effektive Organisation für den Erfolg eines Unternehmens ist. Insgesamt lässt sich behaupten, dass die Erbsälzer nicht nur Pioniere der Salzproduktion waren, sondern auch ihren kleinen, persönlichen Anteil am großen Ganzen der Entwicklung moderner Unternehmensstrukturen und -kulturen hatten.

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MONARCHIE UND ALLTAG


Die Urkunde von König Sigismund


Im Mittelalter waren Urkunden für den Schutz von Besitz, Rechten und Freiheiten unerlässlich. 

König Sigismund bestätigte in einer Urkunde aus dem Jahr 1432 den Erbsälzern ihre Abstammung "von altem guten Stamme". Die Bedeutung dieser vier Worte für das adlige Selbstverständnis der Erbsälzer-Genossenschaft war immens.


Kaiser Sigismund, Porträt eines böhmischen Meisters (Prag?) (1436/37), 

früher Antonio Pisanello (1433) zugeordnet


Die Urkunde („Privilegium Sigismundinum’’) wurde in Abschriften in allen Familien der Erbsälzer aufbewahrt und bei ständischen Streitigkeiten zitiert. Um das Original des "Sigismundinum" gebührend zu präsentieren, wurde eine kostbare Brieflade angefertigt.


Abb.11: Die Urkunde König Sigismunds vom 12. Mai 1432, mit der Bestätigung der Ritter- und Stiftsfähigkeit


Abb.10: "von altem guten Stamme herkommen",

fünf Wörter, die die Welt von Werl bewegten


Doch was genau ist eine Brieflade?

Im Mittelalter bezeichnete das Wort "Brief" eine Urkunde, während "Lade" bis heute einen Kasten meint. Die Briefe dienten der Absicherung von Besitz, Rechten und Freiheiten und repräsentierten diese auch mit einer angemessenen Ausstattung. Die handwerklich hochwertige Gestaltung der Erbsälzer Brieflade spiegelt diese Bedeutung wider. Auf ihr ist das Wappen der Sälzergenossenschaft abgebildet. Die Erbsälzer-Bildmarke zeigt drei Salzkrückenschaufeln, alte Arbeitsgeräte zur Salzherstellung, und war zu dieser Zeit auch auf den Wappen der meisten Erbsälzerfamilien zu finden.


Abb.12: Die Brieflade für die Privilegierungsurkunde König Sigismunds von 1432,

links das damalige Wappen der Erbsälzer, rechts das des Geschlechts der Schöler gt. Klingenberg, 

welche den Gesandten des Collegiums gestellt hatten

Im Jahr 1434 wurden die Privilegien der Erbsälzer durch den Kölner Erzbischof Dietrich II. von Moers erneut bestätigt und die Statuten teilweise wörtlich wiederholt und durch einige zusätzliche Bestimmungen ergänzt. Es dauerte nicht lange, bis Johannes Gutenberg um das Jahr 1450 die beweglichen Lettern erfand und damit den Textdruck revolutionierte. Doch das änderte nichts an der Bedeutung der Urkunde für die Erbsälzer-Genossenschaft,

die bis heute als Beweis ihrer Sonderstellung und ihres Erbes dient.


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ALLES WAS RECHT IST


Das Salzplatzgericht

Die Geschichte der Erbsälzer wird geprägt von ihrem exklusiven Zugang zu einem begehrten Rohstoff und der Ausübung von Macht und Einfluss im städtischen Leben von Werl. Die Erbsälzer waren weit mehr als einfach nur Salzproduzenten, sie waren eine äußerst einflussreiche Gruppierung mit eigenen Gerichtsbarkeiten und einem aristokratischen Selbstverständnis.


Abb.13/14: Verschiedene Siegel des Salzplatzgerichts im Lauf der Zeit

Im Mittelalter war Werl nicht nur ein florierender Salzhandelsplatz, sondern wurde im 14. Jahrhundert auch zu einer bedeutenden Gerichtsstadt und fungierte als Verwaltungszentrum. Der Salzplatz war der Ort des ganzen Geschehens, denn dort wurde das Salz/Gold produziert. Dadurch spielte er eine zentrale Rolle, die ihm eine besondere Stellung verschaffte.


Kurfürst Friedrich III. von Köln unterstellte mit einer Urkunde vom 16. Januar 1382 den Salzplatz einem Richter aus der Erbsälzerschaft.


Diese Entscheidung vermittelt einen Eindruck in das das hohe Vertrauen in die Fähigkeiten der Erbsälzer, die bereits zu dieser Zeit über einen hohen Bildungsstand, intellektuelle Fähigkeiten und politische Integrität verfügten, was sie für das Richteramt prädestinierte. Obwohl die Erzbischöfe die landesherrliche Gewalt über Westfalen ausübten, war die politische Macht zwischen Grafen und Bischöfen aufgeteilt.


Die Rechtsprechung auf dem Salzplatz wurde deshalb durch einen Platzrichter und den Salzplatzgerichtsaktuar im Namen des Landesherrn ausgeübt.

Der Sälzeroberst und die "Viere" fungierten als Beisitzer. Dabei gehörten trotz der geringen Einwohnerzahl Werls von nur etwa 2000 Personen

mehr als 40 Familien der Erbsälzerschaft an.


Abb.15: Die Urkunde des Kurfürsten vom 16. Januar 1382


Das Herzogtum Westfalen, in dem Werl lag, befand sich seit 1102 im Besitz der Kölner Erzbischöfe und wurde 1180 größtenteils von Heinrich dem Löwen

 übernommen. Es erstreckte sich entlang des Hellwegs von Werl über Rüthen und Brilon bis zur Möhne sowie im heutigen Sauerland, dem ehemaligen Engern, von Medebach über Winterberg bis nach Attendorn.


Westfalen grenzte also an Engern, den mittleren Teil des Herzogtums Sachsen, und im Osten an Ostfalen, welches den östlichen Teil des alten Sachsenlandes zwischen Elbe, Weser, Saale und Unstrut umfasste. Bei der Auflösung des Herzogtums Sachsen, nach der Ächtung Heinrichs des Löwen 1180, verloren sich die Namen Engern und Ostfalen; der Name Westfalen wurde für das Gebiet der Ruhr und Lippe bis zur Berkel im Norden beibehalten und umfasste auch den Gau Engern, das spätere Sauerland.  Die Konkurrenz zwischen den Grafen von Mark und dem Kölner Erzstuhl prägte die Entwicklung im südlichen Westfalen über fast zwei Jahrhunderte aufgrund von sich überschneidenden Interessen. 


Diese politischen Hintergründe sind wichtig, um die Bedeutung der Erbsälzer als Richter besser zu verstehen. Deren Aufgabe war es immerhin, die Einhaltung des Rechts auf dem Salzplatz sicherzustellen und somit für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Um die Zuständigkeit des Gerichts klar abzugrenzen, war der Salzplatz von der Stadt durch einen Zaun getrennt. Wer diesen überquerte, befand sich sofort in der Gerichtsbarkeit des Platzgerichts. Dabei beanspruchten die Erbsälzer das exklusive Recht, auf dem Salzplatz auch Verhaftungen durchzuführen, obwohl sie eigentlich keine offizielle Befugnis dazu hatten. Dieses Selbstverständnis war jedoch in erster Linie auf ihr Überlegenheitsgefühl zurückzuführen.


Abb.16: Ein Plan des Werler Salzplatzes nach dem Urkataster des Jahres 1829 und ein aktuelles (2022) Satellitenbild desselben Ortes, als interaktive Bildmontage. Deutlich zu sehen sind 1829 die Aufteilung des Platzes in Westen und Engern, das Salzfenster sowie der Michaels- und der Maximilians-/ Stadtgrabenbrunnen. Die mit großen Punkten gekennzeichneten Gebäude sind als Siedehäuser und als Gradierhäuser zu verstehen; die mit kleinen Punkten markierten Gebäude können zum Teil auch Siedehäuser, zum Teil aber auch anderen Zwecken, insbesondere als Vorratshäuser gedient haben. Ebenfalls deutlich zu erkennen sind die "besiegelten" Veränderungen des heutigen Areals.


Doch wer weiß schon, welche Geschichten sich hinter den Fällen verbergen, die auf dem Salzplatz verhandelt wurden?


Das Salzplatzgericht hatte die Hoheit über lokale und auswärtige Klagen, die mit dem Salinenbetrieb zu tun hatten, wie etwa Schuld- und Personalangelegenheiten zwischen Erbsälzern, Hilfs- oder Betriebsarbeitern sowie der Saline Neuwerk mit ihren Arbeitern.  Das Gericht führte (bis 1832) eigene Hypotheken- und Kontraktbücher und erließ gerichtliche Verfügungen über den Kauf und Verkauf von Grundstücken und Gebäuden innerhalb des Salzplatzes. Alle Schuldforderungen und persönlichen Ansprüche im Zusammenhang mit dem Salinenbetrieb wurden hier verhandelt. Das Platzgericht war die erste Instanz für alle diese Streitigkeiten, während Strafverfahren an das landesherrliche Gericht abgegeben werden mussten.


Durch Kurfürst Maximilian Heinrich erhielten die Erbsälzer im Jahr 1663 sogar das Recht, die Siedeknechte zu vereidigen und ihre Straftaten zu ahnden. Verhaftungen auf dem Salzplatz durften nun doch ausschließlich vom Salzplatzgericht oder in dessen Auftrag vorgenommen werden.


Auch die Mitglieder der Erbsälzerfamilien nutzten die Gerichtsbarkeit des Salzplatzes.


Beispielhaft hierfür steht Wilhelm Bock, der 1583 aus dem Collegium der Erbsälzer ausgeschlossen wurde, nachdem er zum reformierten Glauben übergetreten war und somit kein Mitglied der Erbsälzerschaft mehr sein konnte. Dies führte dazu, dass diese Familienlinie der Bock ihr Wappen anpasste und die Salzkrückenschaufeln einfach weg ließ. Diese Änderung wurde als Wappenvariante "Bock IV" in Spießens Heraldikwerk dokumentiert.


Das letzte männliche Mitglied der katholisch verbliebenen Familienlinie der Bock bei den Erbsälzern starb 1611.


Die Mitgliedschaft in der Erbsälzerschaft war äußerst exklusiv und wurde also durch strenge Aufnahmekriterien geregelt. Nur männliche Nachkommen der bereits im Sälzerkollegium vertretenen Familien durften das Siederecht besitzen. Streitigkeiten innerhalb der Sälzerschaft entstanden daher oft aus der Frage, ob die Söhne der Sälzer die extremen Aufnahmekriterien erfüllten.


Doch obwohl die Erbsälzer eine einflussreiche Gruppe in Werl darstellten, standen sie dennoch unter der Herrschaft des Erzbischofs von Köln. Auch wenn es innerhalb der Erbsälzerschaft zu internen Auseinandersetzungen über die Zulassungskriterien kam, war das Bekenntnis zur Gemeinschaft der Mitglieder nach aussen immer stark. Die erzbischöfliche Verwaltung hatte auch kein Interesse daran, landesherrliche Beamte in die Sälzerschaft zu zwingen, da die Erbsälzer als loyale Verbündete galten und die Verwaltung sich stets auf den Korpsgeist des Erbsälzer Collegiums verlassen konnte, denn die Erbsälzer galten als wichtiger Teil der politischen Stabilität in Werl.


Im Jahr 1849, ein Jahr nach dem Beginn der bürgerlich-revolutionären Erhebungen in Europa, kam die Salzplatzgerichtsbarkeit nach 467 Jahren mit der

Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit und der Exekutivgewalt zu einem Ende. Die Aufhebung hatte auch Auswirkungen auf die Aufschwörung der Jung-Sälzer, die nun erstmals nach fast 500 Jahren nicht mehr vor dem Platzrichter stattfinden konnte.


Einen Eindruck, der eine solche Aufschwörung der Jungsälzer wie eine szenische Western-Filmminiatur beschreibt, liefert ein Augenzeugenbericht aus „Beiträge zur Westfälischen Familienforschung“, Band 8, Heft 2 von Friedrich von Klocke aus dem Jahr 1954:


Die altüberkommene Aufschwörung hat vor mehr als einem halben Jahrhundert Herr Ministerialrat a. D. Prof. Dr. Hermann Rothert als Werler Referendar noch miterlebt und darüber mit seinem anerkannten Erzählertalent den folgenden Bericht verfaßt:


„Während meiner Ausbildungszeit als Referendar beim Königl. Amtsgericht zu Werl forderte mich eines Tages — es war der 29. September 1898, also am Michaelistage — mein Vorgesetzter, der Amtsgerichtsrat Cohausz, auf, ihn zu einem Termine bei den Werler Erbsälzern zu begleiten; ich würde etwas Interessantes zu sehen bekommen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, und wir begaben uns zu dem zwischen den Salinen liegenden großen, offenen Sälzerplatz. Hier war im Freien ein Tisch aufgestellt, worauf ein Kruzifix und zwei brennende Kerzen standen.


Der Sälzeroberst, der liebenswürdige Herr von Papen-Koeningen, der Vater des späteren Reichskanzlers Franz von Papen, empfing uns.

Außerdem waren einige Herren, die das Kollegium der Erbsälzer bildeten, sowie zwei oder drei vierzehnjährige Jungen, Söhne von Erbsälzern, anwesend;

ihre Aufnahme in die Genossenschaft war der Gegenstand der Tagesordnung. Sie wurden zunächst von ihren Vätern vorgestellt; darauf nahm der Amtsgerichtsrat jedem von diesen unter den damals für den Eid vorgeschriebenen Formen den Schwur darauf ab, daß sein anwesender Sohn von ihm „in einem echten und rechten Ehebette gezeugt" sei.  Sodann brachte jeder der Vereidigten zwei andere Erbsälzer herbei, die ihrerseits einen Schwur darauf leisteten, daß der soeben abgelegte Eid „rein und nicht mein" sei.


Nunmehr erklärte der Sälzeroberst einem jeden der Knaben:

„Dir soll ebensowohl Salz gesotten werden als einem anderen ehrlichen Sälzer", und damit war dieser mit dem alten deutschen Mündigkeitsalter von vierzehn Jahren in die altehrwürdige Genossenschaft aufgenommen und in den Bezug der daraus fließenden Einkünfte gesetzt.


Es folgte ein Festmahl, woran auch der Amtsgerichtsrat teilnahm, während ich mich damit begnügte — was mehr wert war — am Ausgang des 19. Jahrhunderts einem Schwure durch Eideshelfer beigewohnt, also einen altgermanischer Vorzeit entstammenden Rechtsbrauch noch als in Uebung befindlich erlebt zu haben. 


Eine Erinnerung für das ganze Leben, und ich bin jetzt achtzig Jahre alt.“

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ADEL UND VERZWEIFLUNG


Standvermögen


In diesem Text wird der Begriff "Zunft" durchgehend als eine Bezeichnung für Zusammenschlüsse von Gewerbetreibenden verwendet. „Zunft“ deckt jedoch nicht die in der Quellensprache verwendeten Formulierungen ab. In den Quellen wurden lange Zeit die Begriffe "Bruderschaft" (lat. fraternitas), "Amt", "Gilde" oder selten "Gesellschaft" verwendet. Erst im 17./18. Jahrhundert tauchte der Begriff "Zunft" auf.


Die Werler Sälzer bildeten im 14. Jahrhundert gemäß dem Stadtrecht von 1324 zusammen mit den Kaufleuten, Bäckern und Bauleuten eine von vier Zünften, Gilden oder Ämtern. Zünfte - ein Begriff, der heute oft nur noch aus historischen Romanen oder Filmen bekannt ist.


Doch was steckt eigentlich dahinter?

Die Zünfte waren eine ständische Körperschaft von Handwerkern, die seit dem Mittelalter bestand, um gemeinsame Interessen zu wahren und bis ins 19. Jahrhundert existierten.  Zünfte bildeten ein soziales und ökonomisches System zur Regelung von Rohstofflieferungen, Beschäftigungszahlen, Löhnen, Preisen, Absatzmengen und sogar zur Witwenversorgung. Eine Zunft umfasste oft mehrere Berufsgruppen. Um sich nach außen hin zu kennzeichnen, hatten sie nach mittelalterlicher Tradition eine Zunftordnung, Wappen sowie Zunftzeichen und -kleidung


Die Bedeutung der Zunft als wirtschaftliches und soziales Netzwerk war enorm.


Die Handwerker konnten sich so gegenseitig unterstützen und ihre Interessen vertreten. Allerdings hatte die Zugehörigkeit zu einer Zunft auch ihre Schattenseiten, wie zum Beispiel die Begrenzung der Konkurrenz durch Zunftordnungen und die Einschränkung der selbstständigen, also der geschäftlichen Freiheit der einzelnen Handwerker. Trotzdem waren die Zünfte über Jahrhunderte hinweg ein wichtiger Bestandteil des Handwerks. Heute erinnern oft nur noch historische Gebäude oder Zunftzeichen an diese besondere Form der Handwerksorganisation.


Die Entstehungsgeschichte von Zünften in Werl liegt generell im Trüben. 


Während die Sälzer im Jahr 1246 ihren Vereinigungsprozess bereits abgeschlossen hatten, entstanden die anderen drei Gruppen,

die Bäcker, die Handwerker/Kaufleute und die Bauleute, wohl erst später. Man kann vermuten, dass das Vorbild der Sälzer dazu führte, dass sich im 13. Jahrhundert zwei weitere wirtschaftlich hervorgehobene Berufe von der übrigen Einwohnerschaft absetzten. Wirtschaftlich und sozial bildeten neben den Sälzern, die sich ab dem 15. Jahrhundert nicht mehr mit den übrigen Zünften auf eine Stufe stellen wollten, die Bäcker die homogenste Gruppe.


Das Siegel des Bäckeramts von 1533: Zwei Heilige, einander zugewandt und durch eine senkrechte Linie getrennt.

Rechts ein Mann mit dem Buchstaben I, links eine Frau mit dem Buchstaben S. Die Umschrift lautet:

Sigilli Collegii Pistorum Werlensium

Die Bäcker organisierten nicht nur die Versorgung der Stadt mit Brot, sondern auch den Getreidehandel. Die Kaufleute hingegen kümmerten sich um den Handel im Allgemeinen und umfassten auch das produzierende Gewerbe, insbesondere im Textilsektor. Die Bauleute waren ein Restposten für alle, die weder Bäcker noch Mitglieder der Kaufmannszunft waren.  Sie setzten sich überwiegend aus Nicht-Handwerkern und Ackerbürgern zusammen.

Die Geschichte der Zünfte in Werl ist somit ein Zusammenspiel von Unklarheiten. Doch auch diese geschichtlichen Untiefen lassen genug Raum für Spekulationen und Phantasien über die Gründung und Organisation der Zünfte. 


Die politische Geschichte Werls ist geprägt von einem ständigen Wechselspiel zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und ihren Zusammenschlüssen.


Ihre privilegierte Stellung brachte die Erbsälzer immer wieder in Konflikt mit den anderen drei Zünften. Diese waren nämlich der Meinung, dass die Sälzer sich zu wenig an den kommunalen Belangen beteiligten und ihre Steuern nicht gerecht zahlten. Die Sälzer wiederum fanden, dass die Stadt Werl und die anderen Zünfte durch ihr Salz-Gewerbe bereits ausreichend profitierten und somit ein erheblicher Teil ihres Wohlstands bereits auf den Geschäften der Erbsälzer beruhte. Durch die erzbischöfliche Urkunde von 1246 beanspruchten die Erbsälzer dazu noch das Recht, die Hälfte der Ratsmitglieder zu stellen, was von den anderen Zünften entschieden abgelehnt wurde, da alle Ratsmitglieder gleichberechtigt sein sollten.


Der Streit zwischen den Erbsälzern und den anderen drei Zünften in Werl entwickelte sich zur Dauerfehde, und es kam schließlich zu einer Art "Klassenkampf" in Werl. Die Erbsälzer sahen sich als Vertreter der "höheren Schicht" und verweigerten eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den anderen Zünften.


Sie positionierten ihre Allianz deshalb als elitäre und exklusive


Extra Zunft.


Wie zu erwarten, führten die Sonderrechte der Erbsälzer und ihre Weigerung, Abgaben zu zahlen, zu zahlreichen Streitigkeiten innerhalb der Werler Bürgerschaft. Es kam sogar zum Wahlboykott der Sälzer und ihrem Ausschluss aus dem Rat. Erst durch die Intervention des kurfürstlichen Drosten konnte die ursprüngliche Ratsverfassung wiederhergestellt werden. Trotzdem schwelten die Auseinandersetzungen zwischen den Erbsälzern und den anderen Zünften weiter und prägten die Geschichte der Stadt Werl ab dem 16. Jahrhundert erheblich. Ihre Einstellung führte seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu anhaltenden, teilweise heftigen Auseinandersetzungen mit den anderen Zünften, die das konsequente Beharren der Sälzer auf ihren Sonderstatus umso konsequenter kritisierten.


Schließlich wurde der Streit im Jahr 1382 vom Erzbischof Friedrich III. geschlichtet.


Mit dem Ergebnis, dass die Sälzer nun ebenfalls die städtischen Lasten mittragen mussten und damit den anderen Bürgern gleichgestellt waren. Sie mussten zudem anerkennen, dass die Salzquellen zu den landesherrlichen Regalien gehörten und sie eine Abgabe in Höhe von 10% des Ertrags als Pacht zahlen mussten. Doch diese "Rückstufung" der Sälzer verhinderte nicht, dass der zwölfköpfige Rat in den folgenden Jahren oft mehrheitlich von Sälzern besetzt wurde. Denn als Kurfürst Friedrich III. von Köln 1382 den Salzplatz auch noch einem Richter aus der Erbsälzerschaft unterstellt hatte, setze eine grundlegende Machtverschiebung zugunsten der Erbsälzer ein.


Der Erzbischof kam den Erbsälzern ebenfalls entgegen und gewährte ihnen das Recht auf Mitgliedschaft in anderen Zünften. Die Sälzer konnten somit auch andere bürgerliche Berufe ausüben und Mitglied anderer gewerblicher Vereinigungen sein. Wahrscheinlich galt dies vor allem für die Zunft der Kaufleute, da seit Beginn des 14. Jahrhunderts Angehörige von Sälzerfamilien an wichtigen Orten im Hanseraum vertreten waren und die Erbsälzer dadurch einen strategischen Vorteil hatten. Obwohl im Stadtrat offiziell Parität zwischen allen vier Zünften bestand, wurde der Rat in den folgenden Jahren oft mehrheitlich von Sälzern besetzt.  Die vehemente Dominanz der Erbsälzer bildete den Nährboden für die Konflikte, die dann ab den 1480er Jahren wuchern konnten. 


Die Konflikte zwischen der Stadt Werl und dem landesherrlichen Amtmann sowie den verschiedenen Berufsgruppen und ihren Vereinigungen führten in eine unruhige Zeit. Die Sälzer konnten ihre Privilegien jedoch verteidigen und sogar ausbauen, während die drei anderen Zünfte eingeschränkt wurden.


Als die Erbsälzer am 10. November 1485 von Erzbischof Hermann IV. aufgrund "alter Gewohnheit" und gegen den Widerstand der übrigen Bürgerschaft

die Hälfte der 12 Ratssitze in Werl zugesprochen bekamen, ahnte noch niemand, welche Konsequenzen diese Entscheidung haben würde.

Denn die Erbsälzer sicherten sich schnell ihre Macht im Rat, indem sie darauf achteten, möglichst viele Familienmitglieder oder Verwandte aus anderen Sälzerfamilien zu den Ratssitzungen mitzubringen.


Die übrige Bürgerschaft stand somit immer einem geschlossenen Block von miteinander verschwägerten und verwandten Sälzern gegenüber.

Infolgedessen stammten die meisten Werler Bürgermeister bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Kreis der Erbsälzer. 


Abb.36B: Eine Urkunde vom 6. Mai 1322 erwähnt Dietrich (Thilo) Lilien als Ratsherr in Werl

Bereits im Jahr 1510 brodelte es erneut zwischen den Sälzern und den drei anderen Zünften. Die Kontroverse entzündete sich an der Neu-Nutzung einer stillgelegten Salzquelle durch die Stadt und mündete schließlich in einer Abmachung, wonach die Sälzer eine jährliche Abgabe von 80 Mark zur Unterhaltung von Stadtmauern und Wegen leisten mussten.


Doch damit war der Frieden in Werl nicht wiederhergestellt. Das folgende Beispiel mag die Stimmung auf den Straßen deutlich machen:


Im Jahr 1515 geriet der kurkölnische KellnerJohann von Fürstenberg bei der Einziehung von Strafgeldern in eine bedrohliche Situation, als er deswegen von aufgebrachten Bürgern angegriffen wurde. Die Lage eskalierte, als Erzbischof Hermann von Wied einschritt, zwei der Rädelsführer zum Tode verurteilen ließ und das Amtshaus der Bäcker schließen ließ. Doch die Gegnerschaft zwischen den Sälzern und den anderen Zünften war damit keineswegs aufgehoben und sorgte auch in den kommenden Jahrzehnten für Unruhe in der Stadt.


Auch zur Zeit der Reformation war Werl alles andere, als ein Ort des Friedens. 


Zweimal, 1547 und dann wieder 1583/84, schien die Stadt vor der Einführung der Reformation zu stehen. Doch durch den militärischen Sieg Ernsts von Bayern im Frühjahr 1584 scheiterte die Reformation endgültig. Im anschließenden Zeitalter der Glaubenskämpfe bestand die tiefe Kluft zwischen den Erbsälzern und den drei anderen Zünften weiter. Und auch im 17. Jahrhundert war Werl immer noch eine Stadt der politischen Unruhen.

Selbst während religiöser Veranstaltungen kam es zu herben Szenen. So klagte ein Bäcker namens Bering im Jahr 1656 gegen die Sälzer, weil sie bei der 

Fronleichnamsprozession einen eigenen Baldachin benutzten. Bering beleidigte die Sälzer öffentlich als Wollweber.


Sein Anwalt versuchte dies damit zu rechtfertigen, dass einige Sälzer Zunftmeister oder Richtleute der Werler Wollweberzunft waren, was ihre Statuten ihnen allerdings ausdrücklich gestatteten. So fand das Urteil des Landesherrn keinen Beweis dafür und hob stattdessen die privilegierte Stellung der Sälzer hervor. Erst nachdem die nunmehr geadelten Sälzer 1726 aus dem Rat ausschieden, konnten die Konflikte vorerst beigelegt werden. Doch dieser Frieden war nicht von Dauer. 1797/98 entflammten die Auseinandersetzungen erneut, als eine neue Ratsverfassung eingeführt wurde.


Ähnliche Konflikte gab es aber auch in anderen Salzstädten, in denen sich die Siedeberechtigten zu patrizischen Gruppen stilisierten.

Allerdings war die spezielle Gruppenbildungs- und Distinktionsdynamik in Werl absolut unvergleichbar.

Werl blieb somit auch im 17. und 18. Jahrhundert eine Stadt, die von massiven politischen Unruhen und folglich gesellschaftlicher Instabilität geprägt war,

in ihrem Kern eine failed city.


Die Sälzer definierten sich beharrlich als eine auf eine exklusive Abstammungsgemeinschaft beschränkte Korporation und bezeichneten sich gerade deshalb als Erbsälzer. Diese Haltung wurde umso stärker durch das Aussterben oder den Wegzug einiger Familien am Ende des Dreißigjährigen Krieges um 1650 geprägt, als das Collegium nur noch aus sieben Familien bestand:


den Bendit, Crispen, Lilien, Mellin, Papen, Schöler gt. Klingenberg und den Zelion-Brandis.


Die Erbsälzer hatten ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre Herkunft und lebten eine intensive korporative Erinnerungskultur. Doch für die bürgerliche Konkurrenz waren sie nur Vetternwirtschaftler die den hohen rechtlichen Anforderungen an kommunale Führungspositionen nicht gerecht werden konnten.  Trotz aller Zerwürfnisse und Vorwürfe besteht die Erbsälzerschaft weiter bis ins 21. Jahrhundert hinein. Ein wahrhaft beeindruckendes Beispiel für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die durch ihre lange Tradition und Exklusivität geprägt ist.


Ab der Wende zum 17. Jahrhundert, als die Hexenverfolgung im Herzogtum Westfalen und damit auch in Werl, ihren traurigen Höhepunkt erreicht hatte, betonten die Erbsälzer zusätzlich zur absoluten Exklusivität ihrer Korporation, die katholische Konfession als charakteristisches Merkmal ihres Collegiums.


Dies mag auch dazu gedient haben, ihre Stellung innerhalb der Werler Gesellschaft weiter zu betonen denn auch weiterhin lag der ungünstige Vorwurf des ungewissen adeligen Ursprungs wohl immer subtil mit im Raum, und allein dagegen konnte die Hervorstellung eines weiteren (Distinktions-)Feldes nicht schaden. Sage und schreibe drei Jahrhunderte lang hatten die Erbsälzer ihre adlige Abstammung betont, doch erst im frühen 18. Jahrhundert konnten die Erbsälzer in Werl diese auch offiziell bescheinigt bekommen.  Denn um die lästige Herkunftsfrage endgültig aus der Welt zu schaffen,

und aus rechtstaktischen Gründen, beschlossen die Erbsälzer Ende 1707 den Kaiser in Wien persönlich um die Bestätigung ihres alten Adelstitels zu bitten.


Denn auch wenn die Sälzer bereits seit dem 14. Jahrhundert als Gerichtsherren und führende Kaufleute in Werl tätig waren, gab es immer wieder Zweifel an ihrem genuinen Adelsstand. Im Frühjahr 1708 wurde Johann Adam Unrath, ein Hofagent in Wien, im Namen des Erbsälzer-Collegiums von Theodor Crispen (1656-1722), einem Jesuitenpater und Musiker aus der Sälzerschaft, beauftragt, ein Adelsdiplom für das Collegium zu erwerben.


Crispen, der 1675 in den Jesuitenorden eingetreten war und in Hildesheim als Kirchenmusiker und Komponist tätig war, hatte dort auch den jungen Georg Philipp Telemann (1681-1767), später einer der bedeutendsten deutschen Barockkomponisten, kennengelernt. Von Hildesheim aus unterrichtete Theodor Crispen Werl regelmäßig über den Fortschritt dieser wichtigen Standes-Mission anhand seiner laufenden Korrespondenz mit dem Hof in Wien.


Abb.36A: Ein Brief Theodor Crispens vom 23. April 1708 

an seinen Werler Vetter Johann Florens Bendit in Sachen Adelsbestätigung


Die Dinge entwickelten sich jedoch nicht so schnell, wie es sich die Sälzer erhofft hatten, und Crispen vermutete bald eine heimliche Opposition gegen das ganze Unternehmen am Wiener Hof. Tatsächlich zögerten die Hofräte jedoch wegen der unzureichenden Beweise für die angeblich "uralte" adelige Herkunft der Sälzer, die auf den Stadtbrand von 1382 zurückging.


Daraufhin reiste der Sälzeroberst Caspar Christian Mellin im Sommer 1710  persönlich nach Wien und erreichte schließlich die Ausstellung von Adelsdiplomen für alle Erbsälzerfamilien. Nobilitierung und Gewerbebetrieb schlossen sich fortan also nicht mehr aus. Die Erbsälzer besaßen nun endlich die so lange ersehnten Urkunden, die ihnen ihre vornehme Herkunft hochoffiziell bestätigten. Und damit schienen nach von Mellins Rückkehr aus Wien im Herbst 1710 nicht nur die Adelszweifel in Werl ausgeräumt. 


Abb.37: Abbildung des Originals der Reichsadelbestätigung von 1708

für das Erbsälzer-Geschlecht von Lilien mit dem Kaiserlicher Unterschrift und Siegel


Die Anerkennung ihres Adelstitels war jedoch auch ein Ausdruck der Veränderungen in der damaligen Gesellschaft. Die Bedeutung der Herkunft und der sozialen Stellung nahmen immer mehr an Bedeutung zu und die Erbsälzer nutzten ihre neue aristokratische Identität, um ihre politische und wirtschaftliche Macht in Werl weiter auszubauen.


Ab jetzt waren die Erbsälzer mit ständischer Überlegenheit in der Bürgerschaft vertreten und konnten deshalb zur gleichen Zeit bei Bedarf die „Bürgerlichen“ stets auf ihre kaiserliche Privilegierung verweisen. Die Erbsälzer machten hiervon wohl auch reichlich Gebrauch und so geriet das soziale Miteinander in Werl ein weiteres Mal aus den Fugen. Immer öfter und unvermeidlich kam es deshalb zu massiven Protesten der drei anderen Zünfte und die Situation nahm ihren Lauf und wurde immer unhaltbarer.


Das Verhältnis zueinander war derart gestört, dass es auf Handgreiflichkeiten hinauszulaufen drohte.


Im Jahr 1725 wurde aufgrund der angespannten Lage eine Untersuchungskommission in Werl eingesetzt, die die ständischen Kompetenzen des Erbsälzer-Collegiums untersuchen und klären sollte, ob aristokratische Exzellenz und kommunales Bürgertum überhaupt miteinander in Einklang gebracht werden könnten.  Keine leichte Aufgabe. Die übrigen Bürger waren sich bewusst, dass die Erbsälzer nicht gleichzeitig ständischen Vorrang und Zugehörigkeit zur Bürgerschaft einnehmen konnten, vermutlich dämmerte dies den Sälzern auch selbst.


Denn seit ihrer Bestätigung als Adelige durch Kaiser Joseph I. im Jahr 1710 waren die Erbsälzer rein rechtlich eigentlich komplett vom Bürgertum abgekoppelt.


Zu Beginn der Epoche der Aufklärung, als Deutschland aus mehr als 300 Einzelstaaten bestand, blieb am Ende des Konflikts zwischen den Erbsälzern und den Bürgern von Werl nur noch der kollektive Austritt der Erbsälzer aus der Bürgerschaft. Dies führte zur Aufgabe ihrer politischen Ämter und zur Schaffung einer völlig neuen Rechtsstellung für sie. Am 3. Januar 1726 traten sie schließlich als „Corpus separatum“ und „Collegium nobilum“ in den Landadel über.


Im Jahr 1747 erreichten die von Lilien noch den Freiherrenstand.

So endete das über Jahrhunderte währende Spannungsfeld zwischen den Bürgern und den Erbsälzern von Werl, zwischen Sein und Wesen.



Abb.38: Das nobilitierte Siegel des Collegiums in der Ausführung von 1852

Die Geschichte zeigt, dass die Trennung von Bürgertum und Adel in Deutschland ein langer und schwieriger Prozess war.


In Werl manifestierte sich dieser Konflikt auf eine einzigartige Weise, die zeigt, wie unterschiedliche Interessen und Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung miteinander kollidieren können, aber er spiegelte auch einen tiefgreifenden Wandel wider, der in ganz Deutschland stattfand.


Immer mehr Menschen forderten Gleichheit und Freiheit in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Die Erbsälzer hatten sich gegen diesen Wandel gestemmt und verloren. Doch in ihrer Niederlage manifestierte sich auch eine neue Hoffnung: dass sich aus der Vergangenheit eine Zukunft gestalten lässt, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status gleiche Chancen haben.

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LANDLEBEN

Neue Quellen des Wohlstands


In der Welt der Erbsälzer war aber nicht alles nur von Konflikten und Spannungen geprägt.


Mit der Zeit öffneten sich die Regeln innerhalb der Sälzergemeinschaft und die Mitglieder durften nun auch außerhalb der Stadt leben, ohne ihre Zugehörigkeit zum Collegium zu verlieren. Im 17. und 18. Jahrhundert erwarben die Erbsälzerfamilien neben ihren Stadthöfen auch Rittergüter im Umland der Stadt und schafften damit repräsentative Rückzugsorte, die den hohen Stand ihrer Besitzer durch prunkvoll ausgestattetes Interieur, Kleidung und imposante Gartenanlagen in einem Umfeld von verschwenderischem Luxus geradezu zelebrierten.


Besonders die Familien von Papen und von Lilien konnten repräsentative Herrenhäuser erwerben, die im Laufe des 18. Jahrhunderts zu ihren Hauptwohnsitzen wurden. Doch der Erwerb ländlicher Güter hatte nicht nur einen repräsentativen Zweck, sondern diente auch wirtschaftlichen Gründen. Da die Einnahmen aus den Salinen nach dem Dreißigjährigen Krieg stetig zurückgingen, war es notwendig, sich auf andere Einnahmequellen und Geldanlagen zu konzentrieren. Der Erwerb von Grundbesitz bot sich dafür an, da er nicht im Widerspruch zu den Adelskriterien der Erbsälzer stand.


Abb.39: Die interaktive Karte zeigt die Lage und Beschreibung der Besitzungen von Erbsälzerfamilien in der weiteren Umgebung von Werl

Auch das Streben nach umfassender Bildung und Ausbildung war in der Welt der Erbsälzer von großer Bedeutung. Die meisten Erbsälzer beherrschten

bereits im Spätmittelalter das Lesen und Schreiben. Denn mit wachsendem Wohlstand und Ansehen wurde der Erwerb klassischer Bildung, also die Erziehung durch Privatlehrer, der Besuch von Lateinschulen und später von Universitäten, auch in den Erbsälzerfamilien zum Standard,

wie es für adelige Familien ganz selbstverständlich war.


So zeigt sich, dass die Erbsälzer nicht nur für ihre Konflikte bekannt waren, sondern auch für ihren Wohlstand und ihre Bildung. Trotzdem bleibt ihre Geschichte ein Beispiel für die Schwierigkeiten und Spannungen, die entstehen können, wenn eine Gemeinschaft aufgrund ihrer exklusiven Abstammung und ihrer Privilegien in der Gesellschaft eine Sonderstellung einnimmt.

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KORPORATIVE IDENTITÄT


Das Wappenwesen der Erbsälzer


Die Wissenschaft der Heraldik - auch als Wappenkunde bekannt - ist eine faszinierende Disziplin, die weit in die Geschichte zurückreicht.


Ein Wappen ist ein individuelles Identifikations- und Besitzzeichen, das in Form, Farbe und Inhalt genau definiert ist. Es besteht aus verschiedenen heraldischen Elementen, wie zum Beispiel Schild, Helm, Helmdecke, Helmzier und Schildhalter, die oft symbolische Bedeutungen haben.


Für das Aufkommen der Wappen im 12. Jahrhundert gab es einen ganz praktischen Grund:


Damals trugen Ritter und Heere den Topfhelm, der nur über einen sehr schmalen Sehschlitz verfügte und das Sichtfeld dadurch stark einschränkte.

Um die Konfliktparteien unterscheidbar zu machen, bemalte man die Schildzeichen deshalb mit grellen Farben.

Da diese Erkennungszeichen gut sichtbar sein mussten, wurden sie anfangs sehr einfach gestaltet, nämlich als Wappen mit kontraststarken Farbabstufungen, um auf 200 Fuß deutlich erkennbar zu sein. Denn so schützten sie einen auch vor dem eigenen Tod.


Ab dem 13. Jahrhundert entwickelten sich Wappen auch zum Standard in adeligen Familien und dienten als Statussymbol. Mit der Zeit wurden sie komplexer gestaltet und enthielten Symbole und Motive, die auf die Herkunft, Geschichte und Persönlichkeit der Familie hinweisen konnten.


Das Recht zur Führung eines Wappens ist seit dem Mittelalter ausschließlich dem Träger vorbehalten und findet seit seiner Entstehung Anwendung in verschiedenen Bereichen, wie in der Heraldik, der Genealogie, der Vexillologie sowie in der Corporate Identity von Unternehmen und Organisationen.


Auch Staaten, Städte, Gemeinden, Zünfte und geistliche Territorien und deren Würdenträger führen eigene Wappen ähnlich einem Marken-Logo.

Gemäß Friedrich von KlockesWappenwesen der Erbsälzer führte das Collegium anfangs und bis ins 16. Jahrhundert hinein ein kleinteiliges Siegelmotiv, das den heiligen Michael als Drachentöter mit einem Schild zeigt, der das kurkölnische Kreuz trägt:

Abb.27: Das Siegel des Sälzerkollegiums von 1386 mit dem den Drachen tötenden Michael

und dem Kreuzschild des Erzbistums Köln, aus dem sich das Werler Stadtwappen entwickelte



Die mittelalterlichen Zünfte waren aber nicht nur Körperschaften von Handwerkern zur Wahrung gemeinsamer Interessen, sondern symbolisierten auch ihr Berufs- und Gemeinschaftsverständnis in Form von Zunftzeichen. Diese Zeichen waren teilweise von einem Wappenschild umgeben und sollten die jeweilige Zunft nach innen und außen hin erkennbar machen. Werkzeuge der verschiedenen Handwerke wurden in den Zunftzeichen verwendet, um die Zugehörigkeit zur jeweiligen Berufsgruppe zu verdeutlichen.


Sogenannte "sprechende" Zeichen, wie eine Brezel für den Bäcker oder ein Hammer für den Schmied, waren besonders beliebt. Die Zeichen dienten nicht nur der internen Identifikation, sondern auch als Werbung und als Orientierungshilfe für diejenigen, die des Lesens nicht mächtig waren oder eine andere Sprache, in dieser Zeit vielleicht auch nur einen anderen Dialekt, sprachen.


Obwohl die Zünfte längst vergangen sind, leben ihre Symbole bis heute weiter und werden als Berufszeichen erkannt und anerkannt. Man findet sie oft in abgewandelten Formen auf Firmenfahrzeugen, -anzeigen und -Profilbildern.


Ab dem 15. Jahrhundert wurde das Sälzer-Zunftzeichen und damit auch das Collegiumswappen der Erbsälzer ausschließlich durch die stilisierte 

Salzkrückenschaufel geprägt, deren ursprünglicher Zweck heute nicht sicher ist.


Eine seltene Illustration von Salzkrückenschaufeln (im 1. Link die Beschreibung/ Punkt 4, im 3. die Illustration) aus Denis Diderots Werk "Recueil de Planches sur les Sciences et les Arts" von 1768


Als reine Bildmarke diente sie dem Collegium nicht nur als identitäres Bündnismerkmal nach innen - immer mehr Sälzerfamilien führten das alte Siedewerkzeug auch in ihren eigenen Wappen - sondern hatte auch die Funktion, den Absender nach außen klar zu kommunizieren.


Die Siedermarke hatte durch ihre minimalistische Gestaltung einen hohen Wiedererkennungswert.


Abb.28: Eine heraldische Salzkrückenschaufel


Das älteste bekannte Siegel, auf dem das grafische Identifikationssymbol des Erbsälzer-Collegiums erstmals erscheint, stammt aus dem Jahr 1432:


Ein weißer, durch schwarze Konturen abgegrenzter Querbalken auf weißem Schild, belegt mit drei schwarzen Salzkrückenschaufeln.


Das nach heraldischen Regeln recht aussergewöhnliche Wappen wurde mit seinen gestalterischen Grundelementen in Variationen noch bis ins mittlere 19. Jahrhundert auf dem Erbsälzer-Siegel verwendet.


Abb.29: Das originäre Erbsälzer-Siegel vom 15. - 19. Jahrhundert


Die Verwendung der Salzkrückenschaufel als kollektives heraldisches Element an Häusern, Grabsteinen und sakralen Geräten trug zur Schaffung einer einheitlichen Proto-Corporate Identity innerhalb der Sälzer-Allianz bei. Die auffällige und stilisierte Darstellung der Salzkrückenschaufel als korporatives Key-Visual* wies deutlich auf die Salzproduktion hin und dürfte für eine breite öffentliche Wahrnehmung gesorgt haben.


(*Ein Key-Visual, oder Schlüsselbild, ist ein visuelles Grundmotiv, welches die Positionierung einer Marke oder eines Unternehmens darstellt, z.B. der stilisierte Aktien-Index im Logo der Deutschen Bank)


Abb.30/32: Links,Titelblatt des Sälzerbuches von 1581 mit dem genuinen Wappen des Erbsälzer-Collegiums.

Deutlich zu erkennen ist die Führung von Salzkrückenschaufeln in den damaligen Wappenvarianten der Lilien und der Papen (auf "11 und 12 Uhr"), darunter der Wappenspruch des Collegiums:

Si deus pro nobis – quis contra nos?!

Wenn Gott für uns ist - wer kann gegen uns sein?!

rechts, das Titelblatt des Stammbaums der Zelion-Brandis von 1660


Abb.31: Ein Gemeinschaftswappen aus dem Jahr 1660


Es ist schon erstaunlich, wie ein kleiner Fund in einer Kirche das Wappen einer ganzen Zunft in Frage stellen und für Verwirrung sorgen kann.


Im Fall der Erbsälzer war es ein alter Schlussstein, der bei Bauarbeiten im Jahr 1662im Gewölbe der Propsteikirche in Werl, deren Vorgängerbau von 1163

 noch auf den Sachsenkönig Heinrich den Löwen zurückgeht, entdeckt wurde.


Mit fatalen Folgen.


Die Erbsälzer deuteten die Abbildung als Reichsapfel mit drei Salzkrückenschaufeln und imaginierten sie als eine Art "Missing Link" ihrer alt-adeligen Herkunft.

Abb.33: Über dem Erbsälzer-Altar im Nordschiff befindet sich oben im Gewölbe ein besonderer Schlussstein:

die Belegung eines Schildes mit Kreuz und Kreis umgeben von drei Salzkrückenschaufeln.


"Missing" war allerdings nur die Tatsache, dass es sich hier um ein folgenschweres Missverständnis handelte, wie sich aber erst weit später herausstellen sollte.

Denn das Wappen gehörte der längst ausgestorbenen Erbsälzerfamilie Hussel.



† Hussel


Die Gestaltung ihres Wappens stellte definitiv keinen "Reichsapfel" dar, sondern zeigte nur einen profanen Kreis mit einem Kreuz,

dessen senkrechter Balken den Kreis durchschnitt.


Trotz des Irrtums griffen die Erbsälzer ab 1662, vermutlich in völliger Unkenntnis der geschichtlichen Hintergründe seiner wahren Identität,

ausschließlich auf das Wappen mit dem vermeintlichen Reichsapfel zurück, wie ihn der Schlussstein irrtümlich zeigte.


Und schmückten somit - blind vom Verlangen nach adliger Distinktion - in den folgenden Jahrhunderten ihr eigenes Siegel.


Abb.34/35: Die "phantastischen" Reichsapfelwappen- und Siegel des Erbsälzer-Collegiums 

ab dem späten 17. Jahrhundert bis ins frühe 21. Jahrhundert


Es mag irritieren, das allerdings auch das "echte" Wappen in einigen Fällen bis ins 19. Jahrhundert genutzt wurde. 


Siegel des Erbsälzer-Collegiums im ursprünglichen Design aus den Jahren 1846 und 1880



Fragen über Fragen.


Bei der Neugestaltung von Wappen gilt nach wie vor die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit des Wappens als oberstes Gebot. Nach den Regeln der Heraldik müssen Farbcodes eingehalten und die Motive gestalterisch-abstrakt reduziert werden.


Diese Geschichte zeigt, dass es manchmal schwierig sein kann, eine klare und eindeutige Identität zu schaffen. Ein falsches Verständnis oder eine falsche Interpretation kann dazu führen, dass man eine Identität annimmt, die nicht die eigentliche ist. Daher ist es wichtig, sich auf die echten Ursprünge und Traditionen zu besinnen und die Einzigartigkeit des genuinen Wappens zu akzeptieren und zu wahren.


Seit dem Jahr 2022 ist das Redesign des Erbsälzer'schen Collegial-Wappens ein zeitgemäßes Signet, das seinen wahren Ursprung kennt und modern interpretiert.


Zurück zum Ursprung:

Das Siegel-Redesign des Erbsälzer-Collegiums seit dem Jahr 2022,

Brutal Simplicity


Familienwappen und deren Führung werden heute nach §12/7 analog zum deutschen Namensrecht behandelt.

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VOM AUSSTERBEN BEDROHT


Die tragenden Erbsälzer-Familien

Noch im Jahr 1382 sind rund 40 Familien in der Sälzerschaft nachweisbar. Diese Zahl stieg bis ins 15. Jahrhundert sogar noch auf 44 Erbsälzerfamilien an.

Seitdem nahm sie aber rapide ab, sodass die Sälzerschaft bereits um 1500 nur noch aus 14 Familien bestand. Im 17. Jahrhundert reduzierte sich die Anzahl der Mitglieder weiter, bis schließlich nur noch sieben Familien übrig blieben.


Zu dieser Zeit gehörten die Familien Papen, Lilien, Zelion gen. Brandis, Mellin

Bendit, Crispen, Schöler gen. Klingenberg und Bock zur Sälzerschaft.


Die Bock mussten jedoch 1583 teilweise austreten, da sie zum evangelischen Glauben konvertiert waren. Die verbliebenen sieben Familien bildeten fortan

das Fundament der Werler Erbsälzergemeinschaft. Doch auch sie waren nicht vor dem Aussterben im Mannesstamm gefeit. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts starben die meisten dieser Familien aus, bis nur noch die Familien von Papen und von Lilien übrig blieben.


Abb.17: Die Wappen der acht tragenden Erbsälzergeschlechter


Diese beiden Familien gehören aber auch zu den Erbsälzer-Geschlechtern, die in den Jahren 1298 (Papen) und 1308 (Lilien) erstmals als Sälzer urkundlich erwähnt wurden. Heute besteht das Erbsälzer-Collegium nur noch aus den männlichen Angehörigen dieser beiden Familien.

Die Werler Erbsälzer haben somit im Laufe der Jahrhunderte einen massiven Mitgliederschwund hinnehmen müssen. Doch trotzdem konnte die Gemeinschaft bis heute überdauern und bewahrt somit ein bedeutendes Stück der regionalen Geschichte.

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IN ERSCHEINUNG TRETEN

Stiftungen für die Pfarrkirche

Nachdem die wichtigsten Salzquellen einige Zeit versiegt waren, sollen sie 1395 während eines Michaelsfestes wieder zu fließen begonnen haben.

Dieses Ereignis wird auch heute noch in Werl gefeiert und markiert den Beginn der Michaeliswoche mit einem Fest zu Ehren des Sankt Michael.

1485 stifteten die acht Sälzerfamilien der Werler Pfarrkirche St. Walburga eine eigene Sälzervikarie. Später, im Jahr 1594, als William Shakespeares Romeo und Julia  in London uraufgeführt wurde, errichteten sie dort auch einen noch heute erhaltenen Altar, den St. Michaelsaltar.

Dieser Altar ist mit den Wappen der acht im vorigen Kapitel erwähnten Familien geschmückt.


Abb.18: Der Erbsälzeraltar aus dem Jahr 1594 mit den Wappen der damals lebenden Erbsälzerfamilien.

Das Wappen mit dem Reichsapfel wurde erst nachträglich hinzugefügt.


Die Propsteikirche wurde im Laufe der Zeit durch zahlreiche Schenkungen der Erbsälzer Familien bedacht, die sich noch heute in der Kirche befinden:


Abb.19/20: Die Kanzel links wurde 1668 von der Erbsälzer-Familie Zelion gen. Brandis gestiftet.

Der Vorbau des Altars im rechten Seitenschiff wurde von Werner von Lilien-Echthausen (1835-1888) und seiner Frau Adolfine von Dücker,

deren beider Wappen an den Seitensäulen eingemeisselt sind, gestiftet



Abb.21: Die Erbsälzer-Fenster mit den Wappen einiger Erbsälzer-Familien, gestiftet vom Erbsälzer-Collegium



Abb.22: Ein kleiner Seitenaltar mit dem Erbsälzer-Wappen, 

gestiftet vom Erbsälzer-Collegium



Abb.23: Ein Renaissance-Leuchter mit den Wappen der tragenden Erbsälzer-Geschlechter,

1657 gestiftet vom Erbsälzer-Collegium



Das Collegium stiftete auch viele Kultgegenstände:

Darunter ein besonders schönes Messgerät in Form einer barocken Strahlenmonstranz, die 1763 in Augsburg gefertigt

und der Propsteikirche von den Familien von Papen und von Mellin gestiftet wurde.



Abb.24: Die in Augsburg im Jahr 1763 von Johann Christian Reinhard angefertigte Strahlenmonstranz.

An ihrem Fuß trägt sie die Wappen der Familien von Papen und von Mellin. Während des Hochamtes am Michaelstag wird diese Monstranz auf dem Rundgang der Erbsälzer durch die Kirche vorangetragen


Allerdings gibt Franz Josef Mehler in seiner Geschichte der Stadt Werl diese Monstranz

als Geschenk der Familie des 1704 ermordeten Dietrich Christian Papen an die Propsteikirche an. 


Vielleicht trifft es eher die folgende Darstellung:


"Der Siebenjährige Krieg (1756- 1763) hatte schwere Verwüstungen mit sich gebracht. 

Zwei Jahre zuvor war zwischen Werl und der Ahse eine blutige Schlacht ausgetragen worden. Die Bürgerschaft war so verarmt, dass sie die ihr auferlegten Kontributionen nur zu einem Teil aufbringen konnte, so dass der Rest von den Erbsälzern vorgeschossen werden musste. Offenbar als Dank für den ersehnten Frieden (von Hubertusburg) stifteten die Erbsälzer sodann die Monstranz, die die Wappen der Familien von Mellin und von Papen trägt. 

Das Gold zu dem Kultgerät schenkten die Frauen aus Familienbesitz".


Weitere spätbarocke Messgeräte, die von verschiedenen Erbsälzer Familien der Propsteikirche gestiftet wurden:


Abb.25: Von Erbsälzern der Vikarie Werl gestiftete, spätbarocke Messgeräte mit Monogrammen und dem Wappen der Familie Mellin auf dem rechten Kelchfuß



Abb.26: Kirchensilber des Erbsälzer-Altars mit Widmungsinschrift


Auch die Paramente (Messgewänder), die der Propsteikirche von den Erbsälzern geschenkt wurden, sind von exklusiver Schönheit.


Sie wurden bis in die 1990er Jahre während des "Erbsälzer-Hochamtes" am Michaelistag vom Propst, dem Erbsälzer-Vikar und weiteren mitfeiernden Priestern getragen.  Das Material der Messgewänder besteht ausschließlich aus schwerem Blumen-, Gold- oder Silberbrokat. 

Die Silberpaletten, die Ornamente und die Farbenpracht sowie die reiche Verwendung von Gold- und Silberborten

unterstreichen den barocken Charakter der Gewänder.


Exponate in der Propsteikirche

Am unteren Rand der Messgewänder sind die Wappen der jeweiligen Stifterfamilien eingearbeitet. 


Die Messgewänder waren aber keine Einzelstücke, sondern Kapellen, bestehend aus dem Messgewand (Kasel) für den Propst

und den beiden Leviten gewändern für den Erbsälzer Vikar und den Diakon.


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SÄLZERBILDER

Ansehen in Öl

Das Porträt als Charakterbild hat im Laufe der Kunstgeschichte eine große Bedeutung erlangt.

Insbesondere in der Renaissancezeit gelang es den Künstlern, durch die Verwendung der Öltechnik, dem Porträt die Bedeutung

eines Charakterbildes zu geben, in dem das ganze Wesen des Dargestellten lebendig zum Ausdruck kommt.


Heute können wir durch Porträts einen Einblick in die Gesichter unserer Vorfahren erhalten, die manchmal noch fast lebendig

und manchmal von der Zeit verdunkelt sind.


Es war jedoch ein Privileg, ein "eigenes" Gesicht zu zeigen, denn nicht jeder hatte das Recht auf ein Porträt. Porträts vermitteln nicht nur ein Abbild des Äußeren, sondern auch eine Vorstellung von der Persönlichkeit und dem Charakter des Dargestellten. Zwar mag es heute so scheinen, dass man dem Gesicht, das uns heute virtuell begegnet, in die Augen schauen kann, so wie man einem Menschen auf der Straße in die Augen schaut.


Aber so war es damals nicht.


 Denn jedes dieser Bilder zeigt nicht nur einen Menschen, wie er ist, sondern auch einen Menschen, der ausgestellt wird und sich selbst ausstellt.


Johann Lilien

Hermann Brandis-Zelion

Bürgermeister und Chronist

*1612, †1676

Bürgermeister von Rüthen und Geschichtsschreiber

kurköln. Hauptmann

*1674, †1719

*1590, †1658

Dietrich Christian von Mellin

Sälzeroberst zu Werl

*1705, †1758

Johann Caspar von Mellin

Salzplatzrichter

*1653, †1727

Salzplatzrichter und Bürgermeister zu Werl

Salzplatzrichter,

Genealoge und Geschichtsforscher zu Werl

*1664, †1732

Thurn- u. Taxischer Geh. Rat

Generalt-Intendant d. Reichs- und Niederl. Posten

*1702, †1765

*1696, †1776

Franz Josef von Lilien zu Scheidingen

Sälzeroberst, Gutsbes. auf Borg und Lahr, Reichspostdirektor a.D.

Österreichischer Kürassier-Rittmeister,

Gutsbesitzer auf Wilbring

Gutsbes. zu Scheidingen-Wasserhausen,

Kammerherr

Sälzeroberst,Gutsbesitzer in Bestwig

*1748, †1823

*1715, †1780

*1728, †1797

*1723, †1807

Philipp Frhr. von Lilien-Echthausen

Generalmajor a.D.

*1772, †1824

Sälzeroberst, Begründer d. Mellinschen Stiftung zu Ostuffeln, Westuffeln und Füchten

Sälzeroberst, Großherzoglich Hessischer Kammerherr

Sälzeroberst, Gutsbes. auf Borg und Lahr, Abgeordneter d. vereinigten Landtags

*1776, †1852

Sälzeroberst, Gutsbes. auf Borg und Lahr

*1804, †1866

*1765, †1837

*1770, †1829

Sälzeroberst und Erbsälzer-Justitiar,

Gutsbes. zu Echthausen, Landrat

*1804, †1886

Sälzeroberst, Fideikomissbesitzer zu Koeningen

*1825, †1887

Sälzeroberst, Bürgermeister von Werl, Großgrundbesitzer, Gründer des Werler Solbades

*1839, †1906

Sälzeroberst, Fideikomissbesitzer zu Koeningen

*1810, †1852

Das Adelsporträt erfüllte nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine soziale Funktion, nämlich als Standesporträt und als Teil der Ahnengalerie oder des privaten Salons. Im Gegensatz zum Herrscherporträt, das oft öffentlich zugänglich war, war das Adelsporträt eher für den privaten Raum bestimmt und entfernte sich immer mehr von der strengen Etikette der Repräsentation. Kleidung, Gestik, Mimik und Kulisse sollten eine bestimmte Standeszugehörigkeit vermitteln und spiegelten gesellschaftliche und religiöse Tendenzen wider.


Obwohl das Portrait niemals den Anspruch eines "realistischen" Abbilds erhob, hatte es das Privileg, überhaupt ein Individuum darstellen zu können.

Mit der Erfindung der Kleinbildkamera und des Rollfilms gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann dieses Privileg zu bröckeln. Während frühere Porträts oft idealisierte Versionen der dargestellten Person waren, sollten Fotografien eine "realistischere" Abbildung ermöglichen. Und trotzdem war das Foto als Porträt nicht frei von künstlerischen und sozialen Einflüssen.


Porträts sind heute nicht nur historisch interessant, sondern können auch einen Einblick in unsere eigene Familiengeschichte geben.

Denn sie vermitteln nicht nur das Äußere, sondern auch das Innenleben der dargestellten Person.


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EIN NEUER ANFANG

Das Ende der Salzproduktion

Während des Dreißigjährigen Krieges gerieten die Erbsälzer in Werl immer wieder in Konflikt mit ihrem Landesherrn.


Um von der allgemeinen Salzknappheit zu profitieren, ließ der Erzbischof im Jahr 1627 vor den Toren Werls eine neue Saline, das Neuwerk, errichten. Doch es kam zum Streit, als auch die Salinen in Unna modernisiert und auf den neusten technischen Stand gebracht wurden und die Erbsälzer darauf mit Preisdumping reagierten. Als ihnen die finanziellen Mittel auszugehen drohten, stellten sie den Hessen Jürgen Philipps als Salzmeister ein,

um auch ihre Salinen zu modernisieren.


Kurz vor 1625 trennte sich Philipps jedoch von den Erbsälzern, da er seine Modernisierungsvorhaben nicht umsetzen konnte. Sein Konzept zur Erschließung des ungenutzten Stadtgrabenbrunnens lehnten die Erbsälzer ab, da sie durch die langjährigen Dumpingpreise finanziell geschwächt waren und eine Überproduktion mit fallenden Salzpreisen befürchteten.


Philipps stellte daraufhin dem Erzbischof Ferdinand von Bayern seine Ideen vor und konnte ihn überzeugen, dass eine weitere Saline in Werl von großem Nutzen wäre. So erhielt er die Erlaubnis, den Brunnen im Stadtgraben wieder in Betrieb zu nehmen und die moderne landesherrliche Saline Neuwerk mit 20 Siedepfannen zu errichten. Durch die weitaus modernere Technik hatte sie gegenüber den übrigen Salinen auf dem Werler Salzplatz einen Produktionsvorteil und es kam zu einem regelrechten Boom der Salzproduktion in Werl.


Die Erbsälzer hatten massive Probleme mit der neuen Saline, da sie ihre Geschäfte stark beeinträchtigte. Daher protestierten sie gegen die Neugründung und die Ausbeutung des Stadtgrabenbrunnens, der eigentlich unter ihre Privilegien fiel. Sie klagten gegen ihren Landesherrn vor dem Reichskammergericht in Wetzlar. Der Prozess zog sich fast 25 Jahre hin, von 1628 bis 1652, und endete schließlich mit einem Vergleich. 


Demnach überließ der Kurfürst den Erbsälzern das Neuwerk gegen eine beträchtliche jährliche Abgabe. Gleichzeitig wurde das Nutzungsrecht der Erbsälzer auf alle zukünftig erschließbaren Salzquellen innerhalb und außerhalb Werls ausgeweitet. Diese neue Rechtslage machte es erforderlich,

die alten Statuten von 1395 zu überarbeiten, und so wurden die neuen Statuten von 1655 verfasst,

die von Erzbischof-Kurfürst Maximilian Heinrich ebenfalls bestätigt wurden.


Abb.39C: Die Statutenbestätigung durch Erzbischof-Kurfürst Maximilian Heinrich von Köln mit dem erzbischöflichen Siegel


Ab 1652 fanden die jahrhundertelangen Querelen um die Werler Saline ein Ende, als die Erbsälzer erneut privilegiert wurden.

Die Rechte und Besitzverhältnisse der Erbsälzer wurden im Rahmen der territorialstaatlichen Neuordnung nach Ende des Dreißigjährigen Krieges endgültig geregelt und blieben bis zum Ende des Alten Reiches (1806) unverändert. Die Neuordnung gab den Erbsälzern mehr Freiheit bei der Verwaltung der Sole, die nun in einzelne "Wässer" gestückelt und verteilt wurde.


Die neuen Statuten von 1655 ähnelten im Wesentlichen denen von 1395, es gab jedoch einige Änderungen. Ein gewählter "Vorstand von Sechs" ersetzte das Leitungsgremium der "Sechzehn". Ein "Sälzer-Oberst" ersetzte den Lochtemann und übernahm die Leitung des Erbsälzer-Collegiums

und wurde ebenso wie der "Salzplatzrichter" vom Vorstand der Sechs aus der übrigen Sälzerschaft gewählt.


Die Strafe einer zeitweisen Suspendierung des Siederechts wurde durch eine Salzabgabe ersetzt und die Zulassung zur Sälzerschaft erfolgte bereits ab dem 14. Lebensjahr.  Auch das Erfordernis der katholischen Konfession wurde festgeschrieben sowie eine stärkere Verurteilung unsittlichen Lebenswandels. Jeder Sälzer konnte künftig neben seinem eigenen auch noch die Verwaltung eines fremden Salzwerks übernehmen.


Im Gegensatz zur Stadtsaline starteten die Erbsälzer die Saline Neuwerk mit den vom Kurfürsten erbauten,

hochmodernen Siedehäusern als Gemeinschaftsunternehmen mit einem eigenen Direktor.


Abb.40: Eine Inschrift an einem alten Salzmagazin


Die Geschichte der Werler Erbsälzer ist eine Geschichte von Konflikten und Kämpfen, aber auch von Innovation und Tradition. Sie haben sich gegen alle Widerstände behauptet und sind heute ein lebendiges Beispiel für die Kraft der Gemeinschaft und die Bedeutung von Tradition und Erbe.


Nach den territorialen Umwälzungen durch die Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen musste sich die Salzgenossenschaft

auf neue Rahmenbedingungen einstellen. Die Säkularisierung vieler Klöster und Abteien, die Abschaffung der geistlichen Fürstentümer und die Einführung der Gewerbefreiheit brachten neue Herausforderungen mit sich.


Im Jahr 1804, als in Frankreich der Code civil in Kraft trat, der die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz garantierte,

begab sich der Sälzer-Oberst Leopold von Lilien  im Auftrag des Erbsälzer-Collegiums nach Darmstadt, in die damalige Landeshauptstadt,

um die Privilegien und Statuten der Erbsälzer vom neuen Landesherren Ludwig X.  bestätigen zu lassen, der seit 1802 das Herzogtum Westfalen regierte.


Eine weitere Bestätigungen folgte 1864 durch Kaiser Wilhelm I.


Die Statutenbestätigung durch König Wilhelm I. von Preußen vom 24.10.1864


Und schließlich erfolgte im Rahmen der Neufassung der Statuten am 23.05.2015 die jüngste Bestätigung durch die Bezirksregierung Arnsberg.


Mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches und dem Beginn der Preußenzeit  (1816) wurden die Erbsälzer nach ihrem Austritt aus der Bürgerschaft 1726 wieder in die Kommunalverwaltung eingegliedert.


Abb.36: Die Urkatasteraufnahme der Stadt Werl aus dem Jahre 1829 und ein aktuelles Satellitenbild desselben Ortes, als interaktive Bildmontage. Der ehemalige alte Salzplatz und jetzige Kurgarten ist schwarz umrandet.

Die Anwesen und Grundstücke der Erbsälzer-Familien sind rot eingezeichnet, die Produktionsstätten sind rot schraffiert und mit einem "S" gekennzeichnet.

Im 19. Jahrhundert wurde die Salzproduktion in Werl durch die dynamisch wachsende chemische Industrie mit ihrem steigenden Bedarf an Kochsalz geprägt, was zu Veränderungen führte, da dieses neue Konkurrenzprodukt naturgemäß nicht im Portfolio der Siedesälzer enthalten war.


Im 18. Jahrhundert waren in Werl 14 kleine Gradierwerke in Betrieb, die jeweils einem Anteilseigner gehörten

und zur Gradierung der eigenen Sole genutzt wurden. Zusätzlich gab es 16 Siedehütten mit je einer Pfanne.


Die Saline Werl im Norden der Stadt nutzte eine 6%ige Brunnensole. Die Saline Höppe gehörte einer Salinengesellschaft, vermutlich dem Grafen von Arnsberg, an der auch die Erbsälzer beteiligt waren. Diese Saline ist seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar und lag wie die Saline Neuwerk

und der Maximilianbrunnen außerhalb der Stadtmauern. Allerdings produzierte sie mit 400 t/Jahr deutlich weniger Salz als die Saline am Stadtgrabenbrunnen und das Neuwerk.



Abb.7: Ein Werler Stadtplan mit Einzeichnung der Soolquellen, Lithographie v. Kgl. Lith. Institut in Berlin, 1856

Abb.41: Ein einzigartiges Dokument stellt die von Adolf Stampfer 1896 gemalte Gesamtansicht von Werl und des Werler Salzplatzes mit den Salzgewinnungsanlagen dar. Zu sehen sind die drei Salinen, in der Mitte der Bohrturm des Michael-Brunnens, Siedehäuser, Badehaus, Teiche und links im Vordergrund Strohhaufen. Das großformatige Bild hängt heute in einem der ehemaligen Lilien-Häuser, dem heutigen Stadtmuseum Haus Rykenberg, in der Schulgasse


Im 19. Jahrhundert wurden in der Stadtsaline Werl und Neuwerk jährlich etwa 3.000 t Salz produziert, wodurch sie nach Unna-Königsborn und Oeyenhausen an dritter Stelle standen. Die Salzproduktion stieg durch neue Bohrlöcher nördlich des Michaelsbrunnens sprunghaft an. Die Erweiterung des Salzplatzes nach Norden ermöglichte weitere Modernisierungen, wie den Bau einer Dampfmaschinenanlage.


Im Jahr 1852 wurden grundlegende Veränderungen im Salinenbetrieb erforderlich.

Eine neue Struktur wurde eingeführt, die die Vereinigung der Salinen Werl und Neuwerk vorsah. Dies wurde durch einen Vertrag zwischen 

dem Erbsälzer Collegium und den einzelnen Erbsälzern erreicht, dem Vertrag wegen Vereinigung der Salinen Werl und Neuwerk:


Die prunkvolle Ausführung des Vertrags von 1852 in der Gestaltung seiner Zeit


Bisher waren die Erbsälzer eher ein Zusammenschluss unabhängiger Kleinunternehmer, aber mit diesem Fusionsvertrag gingen ihre Siedeanlagen in das Korporationseigentum des Collegiums über. Dadurch entstand der moderne Salinenkomplex Werl und Neuwerk,

der von nun an von einem externen Manager geleitet wurde.


Abb. 43A: Arbeiten in einer Saline um 1857


Mit dieser Umstellung verloren die einzelnen Erbsälzer ab 1852 ihren jahrhundertelangen persönlichen Einfluss auf die unmittelbare Produktion.

Kurz zuvor, 1848, hatten Karl Marx und Friedrich Engels das Manifest der Kommunistischen Partei veröffentlicht, im Jahr 1867 erschien Das Kapital.


Ursprünglich produzierten die Erbsälzer das Salz auf eigenes Risiko in eigenen Siedeanlagen und zahlten lediglich eine Abgabe an das Collegium,

das Eigentümer aller Solequellen und Siedehäuser war. Das Siederecht eines Erbsälzers wurde als sein "Salzwerk" bezeichnet, welches er am Michaelsbrunnen zugeteilt bekam. Doch mit dem Fusionsvertrag von 1852 änderte sich diese Konstruktion grundlegend. Nun war das Collegium selbst der Produzent und es ging nur noch um die Verteilung des Gewinns an die Erbsälzer.


1913 beschloss das Collegium, den Besitz in 1000 Anteile aufzuteilen und an die Erbsälzer zu verteilen. Seitdem werden die Pacht- und Mieteinnahmen, Überschüsse und sonstigen Einnahmen entsprechend dieser Anteile verteilt, und diese Regelung gilt bis heute. 


Abb.42/43: Franz Vogelsang und seine Frau Bertha aus Werl. 

Von 1894 bis 1931 war Franz Vogelsang Salinenverwalter, der letzte in einer langen Reihe. Das Haus, in dem die Salinenverwalter wohnten, gehörte dem Erbsälzer-Collegium. Es hatte einen Uhrenturm, in dem zwei Glocken täglich den "Engel des Herrn" läuteten


Durch den Zusammenschluss der Salinen Werl und Neuwerk und mit dem Bau großer Siedehäuser und moderner Gradierwerke zur Anreicherung der 8%igen Sole konnte die Salzproduktion nochmals gesteigert werden. Bereits 1865, als in Amerika der Sezessionskrieg endete, überholte Werl die Salinen in Oeynhausen mit einer Ausbeute von über 7500 t/Jahr. 1904 betrug die Salzproduktion in Werl 8700 t/Jahr.


Abb. 43B: Werl um 1900: Die Siedehäuser und das Pumpwerk im Kurgarten verband ein Gewirr von Holzrohren, durch die die Sole geleitet wurde. Dazwischen floss der Salzbach, der an vielen Stellen gestaut war und in kleinen Wasserfällen herabstürzte. Im Hintergrund ist die Saline an der heutigen Erbsälzerstraße zu sehen.


Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1913 wurde mit 9000 t/a der zweite Platz unter allen westfälischen Salinen erreicht.

Im 19. Jahrhundert wurde die rasante Entwicklung der Salzgewinnung durch die zunehmende Konkurrenz durch das billigere Steinsalz gebremst, das durch industrielle Innovation im Bergbau in immer größeren Mengen verfügbar wurde.

Dies führte schließlich zur schrittweisen Stilllegung der Siedehütten, beginnend mit der Saline Höppe, die bereits 1920 vollständig abgerissen wurde,

gefolgt vom Neuwerk in den frühen 1920er Jahren. Die drei Gradierwerke der Stadtsaline hielten sich dagegen noch einige Jahre.


Die Salzgewinnung wurde auch dadurch immer unrentabler, dass der Salzgehalt der Quellen in und um Werl aufgrund der Abteufung von Kohleschächten im Raum Hamm immer weiter abnahm. Der Steinkohlenbergbau in Hamm war bis nach Werl vorgedrungen und hatte unbeabsichtigt in die unterirdischen Solevorkommen eingegriffen, was zu einer starken Reduktion des Salzgehalts der Werler Salzquellen führte.


Die Erbsälzer setzten alles daran, um ihre Salinen vor dem Untergang zu bewahren.


Obwohl bis etwa 1916/17 noch in begrenztem Umfang Salz gesotten wurde, wurde es zunehmend schwieriger, da die Sole-Konzentration immer dünner wurde. Schließlich traf das Erbsälzer-Collegium am 8. Mai 1919 die schwere Entscheidung, nach mehr als sieben Jahrhunderten die Salzproduktion in Werl endgültig einzustellen. Im Protokoll der Sitzung wurde dazu folgendes vermerkt:


„Nach längerer Aussprache wurde in Anbetracht der bestehenden Verhältnisse deren Besserung nicht mehr erhofft werden kann, einstimmig beschlossen, den Salinen-Betrieb dauernd still zu legen und der Verwaltungs-Ausschuß mit der Verwertung des Grundbesitzes und allen sonstigen Guthaben beauftragt.“


Abb.44: Ausschnitt des Tagesordnungspunktes 4 der Collegial-Versammlung vom 8. Mai 1919


Jahrhundertelang waren die Erbsälzer der größte Arbeitgeber in Werl. An den Salzsiedeöfen und Gradierwerken waren stets 60 bis 80 Menschen beschäftigt. Sie leisteten Schwerarbeit.


Am 19. November 1918 wurde die Weimarer Republik gegründet.


Das Collegium erkannte frühzeitig die drohende wirtschaftliche Krise und versuchte gegenzusteuern.

Neben der Salzproduktion suchte man also nach neuen Geschäftsfeldern.


So wurde 1858, zur Zeit der ersten Weltwirtschaftskrise, von den Brüdern Christoph (1804 - 1866) und Egon (1815 - 1874) von Lilien-Borg

die Schloßbrauerei Werl gegründet, um sich ein weiteres Standbein aufzubauen.

Die Brauerei hatte einen Ausstoß von 3.200 Tonnen Hektolitern Bier und beschäftigte etwa 20 Mitarbeiter.


Abb.45: Die Schlossruine Werl ging im Jahr 1828 in den Besitz der Familie von Lilien über, die den Wassergraben überbauen und die noch vorhandenen Keller um die Gewölbe erweitern ließ. 

Vor der Ruine sind womöglich Bierfässer zu erkennen


Allerdings hatte das Unternehmen nur vorübergehend Bestand bis zum Jahr 1880.

In diesem Jahr wurde der Kölner Dom, der über 600 Jahre Bauzeit in Anspruch genommen hatte, fertiggestellt.

Es sei daran erinnert, dass sowohl die Ersterwähnung des Collegiums der Erbsälzer in Werl im Jahr 1246

als auch der Bau des Kölner Doms im Jahr 1248 fast zeitgleich begannen.


Der Sälzeroberst Friedrich von Papen-Koeningen hatte mehr Erfolg als seine Vorgänger und konnte der uralten Funktion der Werler Salinen mit einer kreativen Idee neues Leben einhauchen - dem Solbad Werl. Das Erbsälzer-Collegium war begeistert von dem Vorschlag und beschloss 1885 den Bau eines Badehauses. Obwohl sich die Bauarbeiten verzögerten, konnte das Solbad am 25. Juli 1889 eröffnet werden.


Zur gleichen Zeit wird anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Französischen Revolution in Paris zur Weltausstellung der Eiffelturm fertiggestellt.


Die Teilnehmer der Collegialversammlung am Michaelstag 29.09.1887:

Friedrich von Papen-Koeningen, Ludwig von Papen, Franz Joseph von Papen, Ludwig von Papen,

Felix von Lilien-Echthausen, Kurt von Papen-Koeningen, Alois von Lilien-Schulgasse, Curt von Lilien-Echthausen, Waldemar von Papen, Ferdinand von Papen, Werner von Lilien-Echthausen, Franz Kaspar von Lilien-Schulgasse


Der alte Salzplatz wurde durch einen soliden Produkt- und Imagetransfer erfolgreich in einen touristischen Premium-Spabetrieb Solbad/Kurpark umgewandelt, der mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet und von einer üppigen Parkanlage umgeben war. 


Abb.46ff: Aufnahmen des Werler Solbades, nebst einem Erinnerungsstein im Kurpark.

Er ist Fritz von Papen-Koeningen gewidmet, der 1888 das Solbad gründete

Die drei großen Gradierwerke der ehemaligen Stadtsaline wurden in die neu geschaffene Parkanlage integriert

und dienten nun zur Inhalation der salzhaltigen Luft.


Aus dem Bäder-Almanach 1895, S.280

Nach einigen erfolgreichen Jahren musste das Solbad Werl 1927 jedoch wieder geschlossen werden, da die Besucherzahlen aufgrund der Konkurrenz der umliegenden Salzstädte, welche ebenfalls über Solbäder verfügten, stark abnahmen. Das Gnadenbild der Muttergottes wurde nun zur Hauptattraktion Werls, die in den 1920er Jahren über 60.000 Pilger anzog.


Die letzte noch in Betrieb befindliche Pfannensaline Europas ist die Saline Luisenhall in Göttingen.

14

VOM HIMMEL HOCH

Der Untergang

Abb.47: Bomben auf Werl im Jahr 1944 (Symbolbild)

Der Angriff auf Werl am Morgen des 19. April 1944 erfolgte durch einen alliierten Bomberverband der über Münster und Hamm in Richtung Soest geflogen war. Im Raum Soest drehte er ab und nahm Kurs auf Werl. 


Die Bombercrew vermutete getarnte Jagdflugzeuge im Kurgarten und ließ deshalb Bomben vom Fliegerhorst der NS-Luftwaffe nördlich des Zuchthauses bis zum Kurpark fallen. Etwa 60 Flugzeuge warfen in drei Angriffswellen insgesamt 2000 Brand- und 1200 Sprengbomben ab, von denen viele auf dem Flughafengelände oder auf freiem Feld einschlugen. Trotzdem wurden 233 Gebäude zerstört oder beschädigt.


Darunter auch dieses Siedearbeiterhaus:


Abb.48: Eine für die Erbsälzer-Geschichte ikonische Aufnahme:

Die Trümmer des letzten Siedehauses, welches südlich des Teiches am Mühlenweg lag


Der knapp zehnminütige Luftangriff kommunizierte auf sarkastische Weise auch die letzte Phase des Niedergangs der Werler Saline.

Der Bombenangriff zerstörte nicht nur das Gradierwerk an der Hammer Straße und das letzte Siedehaus,

sondern bedeutete auch das endgültige Aus für die Solbadanlage.


Geschichte wird von Menschen gemacht und ist nur durch diese lebendig. Am 10. März 1968 erschien in der Werler-Tageszeitung der folgende Artikel, welcher vom Abschluss der jahrhunderte alten Salinengeschichte Werls berichtete:


Abb.49: So meldete die Presse am 10.3.1968 den Tod des letzten Werler Sieders


Auch wenn im heutigen Stadtbild von Werl nur noch der Kurpark mit dem neuen Gradierwerk und der imposante Schornsteinsockel des letzten Siedehauses an die alte Salzproduktion erinnern, weisen doch zahlreiche Straßennamen auf diesen für die Stadt über Jahrhunderte so wichtigen

Kultur- und Wirtschaftszweig hin:


So führen immerhin eine Salzstraße, die Erbsälzerstraße, Zum Salzbach, Neuwerk, Höppe, der von-Lilien-Anger, die Benditstraße, die Bocksgasse, die Mellinstraße, der von-Papen-Anger, die Siederstraße und der Salinenring durch Werl.

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FÜR IMER WERL

Die Ruhestätten der Erbsälzer

Seit Jahrhunderten wurden die Erbsälzer auf dem Friedhof vor dem Steinertor bestattet.


Die Familie Mellin hatte dort ihre eigene Erbbegräbnisstätte mit einem prächtigen Kreuzmonument, das bei der Auflösung des Friedhofs

auf den neuen Werler Parkfriedhof verlegt wurde. Der neue Friedhof wurde 1850 außerhalb der Stadt an der alten Reichsstraße 1 Aachen - Königsberg (spätere Bundesstraße 1, heutige L969) kirchlich eingeweiht und der Sockel des vom Düsseldorfer Bildhauer Dietrich Meinardus geschaffenen Kreuzes

trug das Wappen der Familie Mellin.


Abb.50: Das vom alten Friedhof in den Werler Parkfriedhof 

im Jahr 1850 umgesetzte Grabkreuzmonument der Erbsälzer-Familie von Mellin


Das Kreuz wurde 1927/28 restauriert und der alte Wappenstein und die Inschriftentafeln mussten aufgrund von Witterungsschäden ersetzt werden.

Die Erbsälzer-Begräbnisstätte auf dem alten Friedhof erstreckte sich über 25 m Länge und 6,5 m Breite und war einst mit zahlreichen Denkmälern,

Steinen und Tafeln geschmückt.

Bis in die 1960er Jahre reihte sich hier Denkmal an Denkmal, mit Putten und Heiligenfiguren. Auf Steinen und Tafeln standen die Namen zahlreicher Erbsälzer.Das üppige Vermächtnis einer besitz- und ehrenreichen Vergangenheit.


Abb.51: Die Erbsälzer-Bergräbnisstätte im Jahr 1959 mit den seit 1850 angehäuften Grabmonumenten


Da aber in diesem Zustand keine weiteren Bestattungen mehr möglich waren, wurde 1970 eine Neugestaltung des Friedhofs vorgenommen.

Die alten Grabdenkmäler wurden entfernt und die Fläche begrünt. Stattdessen wurde ein großes Granitkreuz mit dem Erbsälzerwappen errichtet und rechteckige Kissensteine aus Anröchter Granit wurden verlegt, auf denen die biographischen Daten der Verstorbenen eingraviert sind. 


Abb.52/53: Die 1970 neu gestaltete Erbsälzer-Begräbnisstätte auf dem Werler Parkfriedhof


Auf dieser Erbbegräbnisstätte kann sich jeder Erbsälzer mit seinen Angehörigen, die seinen Namen tragen, bestatten lassen.


Die Kosten für den Friedhof und seine Pflege werden vom Collegium getragen.

Literaturquellen:

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Patriziat und Stadtadel im alten Soest, Lübeck 1927

Das Patriziatsproblem und die Werler Erbsälzer, Aschendorff, Münster 1965 

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Bildnachweise:

Abb.1: Walter, Roland, Erdgeschichte, Berlin 2003, Bearbeitung: Titus von Lilien 2022

Abb.1A: StA Werl

Abb. 1 B: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Erika Hunold 

Abb.2: Salinen in Westfalen (Entwurf: S. Harnischmacher, Bearbeitung: Titus von Lilien 2022, Quelle: Emons 1988, S. 173)

Abb. 3/4: gemeinfrei

Abb.4a: Mitteilungen, Gesellschaft Deutscher Chemiker / Fachgruppe Geschichte der Chemie, (Frankfurt/Main), Bd 18 (2005) 

Abb.5: Titus von Lilien 2022

Abb.6: Reimann, Norbert, “Königshof-Pfalz-Reichsstadt, Bilder und Texte zur Entstehung der Stadt Dortmund”, 1984, Dortmund

Abb.7: Lithographie v. Kgl. Lith. Institut in Berlin, 1856

Abb.7A: StA Werl

Abb.8: StA Werl, Urkunden, Nr.5.

Abb.9: StA Werl, EA, Sa 1.

Abb.10: StA Werl

Abb.10A: Zeitschrift für Rechtsgeschichte (Bd. 10 (1872)), S. 280

Abb.10B: Creative Commons

Abb.11: StA Werl

Abb.12: Stadtarchiv Werl, Aufnahmen: Wendelin Leidinger Werl, Denkmalamt Münster

Abb. 13/14: Geschichte der Salinen zu Werl, Tab.III, Franz Josef Hering, Sparkasse Werl, Werl S.14, Stadtarchiv Werl

Abb.15: Urkunde 25, StA Werl

Abb.16: Klocke, Friedrich von, Patriziatsproblem, Münster 1965, Abb. 4, Apple Inc. Karten 2022, Idee & Gestaltung: Titus von Lilien

Abb.17: Spießens Wappenbuch d. westf. Geschlechter, Bearbeitung: Titus von Lilien 2022

Abb.18: Geschichte der Salinen zu Werl, Tab.III, Aufnahme: Franz Josef Hering, Sparkasse Werl 1999, Werl S.14

Abb.19-22: Aufnahme & Gestaltung: Titus von Lilien 2022

Abb.23: StA Werl

Abb.24-26: privat

Abb.27: StA Werl

Abb.28: Gestaltung: Titus von Lilien 2022

Abb.29-31: StA Werl

Abb.32: privat

Abb.33: Aufnahme Titus von Lilien, 2022

Abb.34/35: Privatbesitz, StA Werl

Abb.36: Klocke, Friedrich von, Patriziatsproblem, Münster 1965, Beilage: Karte

Abb.36A: StA Werl

Abb.36B: StA Werl

Abb.37: StA Werl

Abb.38: StA Werl

Abb. 39: Gestaltung: Titus von Lilien 2022

Abb. 40: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 92

Abb.41: Werl, nach einem Bild von Adolf Stampfer, 1896, Wendelin Leidinger Documenta Werlensia, gemeinfrei

Abb. 42: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 43

Abb. 43: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 45

Abb. 43B: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 29

Abb. 44: Werl gestern-heute-morgen 2019, S.57, StA Werl

Abb. 45: „Ruine des Kurfürstlichen Schlosses“, F. Hiddemann 1854, Westfalia Picta, Band IV, S. 305

Abb. 46ff: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 71

Abb.47: Imperial-War-Museum-Public-Domain

Abb. 48: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 84

Abb. 49: Berges, Hermann Josef, Salz aus Werl, Westfälischer Heimatverlag 1978, S. 7

Abb.50: StA Werl

Abb.51: StA Werl

Abb.52/53: privat, StA Werl





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